Schlussdokument. AMAZONIEN. NEUE WEGE FÜR DIE KIRCHE UND FÜR EINE GANZHEITLICHE ÖKOLOGIE

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Schlussdokument.

Schlussdokument. AMAZONIEN. NEUE WEGE FÜR DIE KIRCHE UND FÜR EINE GANZHEITLICHE ÖKOLOGIE

Bischofssynode – Sonderversammlung für Amazonien

 

Inhalt                                                                                                           

Einleitung

KAPITEL 1

Amazonien: Vom Hinhören zur ganzheitlichen Umkehr

Worte und Lieder Amazoniens als Botschaft vom Leben

Die Klage der Erde und der Schrei der Armen

Die Kirche in Amazonien

Zur ganzheitlichen Umkehr gerufen 

KAPITEL 2

Neue Wege pastoraler Umkehr

Die Kirche im missionarischen Aufbruch

a. Eine samaritanische, barmherzige und solidarische Kirche   

b.   Eine Kirche im ökumenischen, interreligiösen und kulturellen Dialog                                                                      

Eine missionarische Kirche im Dienst und an der Seite der Völker Amazoniens

a. Eine Kirche mit indigenen, bäuerlichen und afrikanischstämmigen Gesichtszügen

b. Eine Kirche mit den Gesichtszügen von Migranten 

c.   Eine Kirche mit den Gesichtszügen der Jugend 

d.   Eine Kirche auf neuen Wegen in der Stadtpastoral 

e.   Eine Spiritualität des Hinhörens und der Verkündigung   

Neue Wege zur pastoralen Umkehr 

KAPITEL 3

Neue Wege kultureller Umkehr 

Das Gesicht der Kirche in den Völkern Amazoniens

a. Die kulturellen Werte der Völker Amazoniens

b. Die Kirche in den Territorien als Verbündete der Völker

Wege zu einer inkulturierten Kirche

a.   Glaubenserfahrung durch Volksfrömmigkeit und inkulturierte Katechese

b.   Das Geheimnis des Glaubens im Spiegel einer inkulturierten Theologie

Wege zu einer interkulturellen Kirche

a.   Respekt vor den Kulturen und den Rechten der Völker

b.   Förderung des interkulturellen Dialogs in einer globalisierten Welt 

c.   Herausforderungen für Gesundheitsdienste, Bildung und Kommunikation

Neue Wege für eine kulturelle Umkehr 

KAPITEL 4

Neue Wege ökologischer Umkehr     

Unterwegs zu einer ganzheitlichen Ökologie auf der Basis der Enzyklika Laudato si’

a.   Bedrohungen des Amazonien-Bioms und seiner Völker

b.   Die Herausforderung neuer fairer, solidarischer und nachhaltiger Entwicklungsmodelle

Eine Kirche, die das „Gemeinsame Haus“ in Amazonien schützt

a.   Die sozial-ökologische Dimension der Evangelisierung

b.  Eine arme Kirche zusammen mit den Armen und für die Armen in den verwundbaren Peripherien

Neue Wege zur Förderung ganzheitlicher Ökologie

a. Prophetischer Einspruch und Botschaft der Hoffnung für die ganze Kirche und die ganze Welt

b. Observatorium für Sozialpastoral in Amazonien

KAPITEL 5

Neue Wege synodaler Umkehr

Missionarische Synodalität in der Kirche Amazoniens

a. Die missionarische Synodalität des gesamten Volkes Gottes unter der Führung des Heiligen Geistes 

b.   Spiritualität synodaler Gemeinschaft unter der Führung des Heiligen Geistes 

c.   Unterwegs zu einem synodalen Lebens- und Arbeitsstil im Amazonasgebiet 

Neue Strukturen für die Dienstämter der Kirche

a.   Amtskirchliche Struktur und neue Dienstämter  

b.   Ordensleute  

c.   Die Stunde der Frauen 

d.   Ständiger Diakonat

e.   Inkulturierte Bildungspläne 

f.    Eucharistie –   Quelle und Höhepunkt synodaler Gemeinschaft   

Neue Wege für die Synodalität der Kirche

a. Regionale synodale Strukturen für die Kirche Amazoniens                                                           

b.   Universitäten und neue synodale Strukturen in Amazonien 

c.   Ein nachsynodales kirchliches Organ für die Amazonasregion   

d. Liturgie für die ursprünglichen Völker 

Zum Schluss  

 

Einleitung

1. „Er, der auf dem Thron saß, sprach:

Seht, ich mache alles neu. Und er sagte: Schreib es auf, denn diese Worte sind zuverlässig und wahr!“

(Offb 21,5)

Nach einem weiten Weg synodalen Hörens auf das Volk Gottes in der Kirche Amazoniens, den Papst Franziskus während seines Besuches in Amazonien am 19. Januar 2018 begonnen hatte, fand die Synode in Rom als geschwisterliches Treffen von einundzwanzig Tagen im Oktober 2019 statt. Das Klima war geprägt von einem offenen, freien und respektvollen Austausch zwischen Bischöfen, Pastoren in Amazonien, Missionaren und Missionarinnen, gläubigen Frauen und Männern („Laien“)  und Vertretern der indigenen Völker Amazoniens. Als Teilnehmer und Teilnehmerinnen wurden wir Zeugen eines kirchlichen Ereignisses, dem das Thema den Stempel aufgedrückt hat, weil es nachdrücklich darauf dringt, für die Kirche dieses Territoriums neue Wege einzuschlagen. In einem Klima, das getragen war von der Überzeugung, dass der Heilige Geist anwesend und seine Stimme zu hören war, hat man zu wahrhaftiger Zusammenarbeit gefunden.

Ein Klima von Geschwisterlichkeit und Gebet bestimmte die Synode. Auf die Redebeiträge reagierte man mal mit Applaus, mal mit Gesängen, mal mit Pausen kontemplativen Schweigens. Außerhalb der Synodenaula haben bemerkenswert viele Menschen aus Amazonien die Synode durch verschiedene Aktivitäten und Prozessionen unterstützt, wie beispielsweise am Tag der Eröffnung, als sie den Heiligen Vater mit Liedern und Tänzen auf dem Weg vom Grab Petri zur Synodenaula begleiteten. Besonders bemerkenswert war der Kreuzweg der Märtyrer Amazoniens. Auch die massive Präsenz internationaler Medien ist hervorzuheben.

2.         Alle Teilnehmenden waren sich der dramatischen Zerstörung Amazoniens sehr bewusst, erkennbar an der Ausplünderung des Territoriums, am Aussterben und an der Flucht seiner Bewohner, insbesondere der indigenen Völker. Der Urwald Amazoniens ist das „biologische Herz“ der Erde, das mehr und mehr bedroht wird. Ungebremst läuft er auf den Tod zu. Radikale Veränderungen von höchster Dringlichkeit und eine Neuorientierung sind erforderlich, um den Wald zu retten. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass das Verschwinden des Bioms von Amazonien katastrophale Auswirkungen auf den ganzen Planeten nach sich ziehen wird.

3.         Der synodale Weg des Volkes Gottes hat in der Vorbereitungsphase die ganze Kirche dieses Territoriums einbezogen. Bischöfe, Missionare und Missionarinnen, Mitglieder der Kirchen anderer christlicher Bekenntnisse, engagierte Männer und Frauen sowie viele Vertreter der indigenen Völker haben mit dem Vorbereitungsdokument gearbeitet, aus dem das Instrumentum Laboris hervorgegangen ist. Bewegt vom Sturm des Heiligen Geistes durch den Schrei der verwundeten Erde und ihrer Bewohner unterstreicht es, wie wichtig es ist, auf die Stimme Amazoniens zu hören. Mehr als 87.000 Menschen aus verschiedenen Städten und Kulturen hat man gezählt, dazu noch zahlreiche Gruppen aus anderen kirchlichen Bereichen sowie Beiträge von Akademikern und Organisationen der Zivilgesellschaft zu spezifischen, zentralen Themen.

4.         Der Synode ist es gelungen, die Stimme Amazoniens mit der Stimme und der Mentalität der teilnehmenden Hirten zu vereinen. Es war eine neue Erfahrung des Hinhörens, um die Stimme des Heiligen Geistes zu erkennen, der der Kirche neue Wege der Präsenz, der Evangelisierung und des interkulturellen Dialogs in Amazonien eröffnet. Die Forderung, die im Vorbereitungsprozess laut wurde, die Kirche solle

Bündnispartnerin Amazoniens sein, wurde eindrucksvoll bestätigt. Die Synode endete mit großer Freude und mit der Hoffnung, die Herausforderungen des neuen Paradigmas einer ganzheitlichen Ökologie, der Sorge um das „Gemeinsame Haus“ und der Verteidigung Amazoniens ganz praktisch annehmen zu können.

Kapitel 1

Amazonien: Vom Hinhören zur ganzheitlichen Umkehr

„Und er zeigte mir einen Strom, das Wasser des Lebens, klar wie Kristall; er geht vom Thron Gottes und des Lammes aus.“

(Offb 22,1)

5. „Christus zeigt auf Amazonien“ (Paul VI., zugeschrieben). Er befreit alle von Schuld und verleiht die Würde der Söhne und Töchter Gottes. Das Hören auf Amazonien im Geiste des Jüngers sowie im Licht des Wortes Gottes und der Tradition drängt uns dazu, effektiv zu Christus und seinem Evangelium umzukehren, und zwar mit all unseren Plänen und Strukturen.

Worte und Lieder Amazoniens als Botschaft vom Leben

6.    In Amazonien ist das Leben in dieses Territorium eingepflanzt, mit ihm verbunden und darin eingegliedert. Das Territorium schenkt als Überlebens- und Lebensraum Unterhalt und Lebensgrenze. Amazonien, auch Pan-Amazonien genannt, ist ein weit ausgedehntes Territorium mit einer Bevölkerung von schätzungsweise 33,6 Millionen Bewohnern, von denen 2 bis 2,5 Millionen Indigene sind. Dieses Gebiet setzt sich zusammen aus dem Amazonasbecken und seinen Zuflüssen und erstreckt sich über neun Länder: Bolivien, Peru, Ecuador, Kolumbien, Venezuela, Brasilien, Guyana, Surinam und FranzösischGuyana. Amazonien ist wichtig für die Verteilung der Regenfälle in den Regionen Südamerikas und trägt bei zu Bewegungen der Luftmassen rings um den Planeten; gegenwärtig nimmt es die zweite Stelle unter den Regionen der Erde ein, die durch den von Menschen verursachten Klimawandel am stärksten verletzt sind.

7.    Wasser und Erde dieser Region ernähren und unterhalten die Natur, das Leben und die Kulturen unzähliger indigener, bäuerlicher, afrikanischstämmiger Gemeinschaften, ebenso wie die der Mestizen, der Siedler an den Flußufern und in den städtischen Zentren. Das Wasser hat als Quelle des Lebens eine tiefe symbolische Bedeutung. In Amazonien ist der Kreislauf des Wassers die Achse aller Verbindungen. Es verbindet Ökosysteme, Kulturen und die Entwicklung des Territoriums.

8.    Amazonien ist multiethnisch und multikulturell. Die verschiedenen Völker haben es verstanden, sich an das Territorium anzupassen. Innerhalb jeder Kultur schufen und erneuerten sie ihre Kosmovision mit ihren Symbolen und Sinngebungen, einschließlich des Horizonts ihrer Zukunft. In den indigenen Völkern und Kulturen leben alte Bräuche und Interpretationen zusammen mit modernen Technologien und Herausforderungen. Die Gesichter der Menschen, die Amazonien bewohnen, sind sehr vielfältig. Über die ursprünglichen Völker hinaus gibt es viele ethnische Mischverhältnisse, die aus friedlicher und feindseliger Begegnung der verschiedenen Völker hervorgegangen sind.

9.    Das Streben der indigenen Völker Amazoniens nach dem Leben in Fülle konkretisiert sich in dem, was sie als „gutes Leben“ („buen vivir“) bezeichnen und was den Seligpreisungen entspricht. Es geht darum, mit sich selbst, mit der Natur, mit den Menschen und mit dem höchsten Sein im Einklang zu leben. Im gesamten Kosmos kommuniziert alles mit allem, nichts und niemand ist ausgeschlossen, sodass wir alle miteinander das Projekt eines Lebens in Fülle schmieden können. Ein solches Verständnis vom Leben ist gekennzeichnet durch Verbundenheit und harmonische Beziehungen zwischen Wasser, Territorium und Natur, durch Gemeinschaftsleben und Kultur, mit Gott und verschiedenen spirituellen Kräften. Für die Indigenen bedeutet „buen vivir“ zu begreifen, dass Menschen und Schöpfung durch ihre relational-transzendente Art miteinander verbunden sind. „Gut Leben“ bedeutet „Gut Tun“. Dieses ganzheitliche Lebensverständnis kommt in der Art und Weise zum Ausdruck, wie sie das Leben organisieren, angefangen von der Familie und der Gemeinschaft bis hin zum verantwortlichen Umgang mit den Gütern der Schöpfung. Die indigenen Völker streben nach besseren Lebensbedingungen, insbesondere was die Gesundheitsversorgung und die Schulbildung angeht. Sie wollen sich einer nachhaltigen Entwicklung erfreuen, über die sie selbst entscheiden. Sie soll mit der überlieferten Lebensweise harmonisierbar und zum Dialog zwischen der Weisheit und Technologie ihrer Vorfahren mit den neuen Errungenschaften fähig sein.

Die Klage der Erde und der Schrei der Armen

10.    Amazonien ist heute jedoch eine verwundete und entstellte

Schönheit, ein Ort von Gewalt und Leid. Die Attentate gegen die Natur haben Konsequenzen für das Leben der Völker. Diese einzigartige sozial-ökologische Krise fand ihren Widerhall in den vorsynodalen Anhörungen, in denen die folgenden Bedrohungen für das Leben beschrieben wurden: Enteignung und Privatisierung von Naturgütern, sogar von Wasser; legale Waldkonzessionen und das Eindringen von illegalen Holzfirmen; ausbeuterisches Jagen und Fischen; nicht-nachhaltige Großprojekte (Wasserkraftwerke, Waldkonzessionen, massives Abholzen von Bäumen), Monokulturen, Straßen, Wasserstraßen, Eisenbahnen, Bergbau- und Erdölprojekte, die durch extraktivistische Industrie und städtischen Müll verursachte Verseuchung und vor allem der Klimawandel. Diese realen Bedrohungen haben schlimme soziale Folgen: durch Verseuchung verursachte Krankheiten, Drogenhandel, illegal bewaffnete Gruppen, Alkoholismus, Gewalt gegen Frauen, sexuelle Ausbeutung, Menschenhandel, Organhandel, SexTourismus, Verlust der ursprünglichen Kultur und Identität (Sprache, spirituelle Praktiken und Bräuche), Kriminalisierung und Ermordung von Verantwortlichen und Verteidigern des Territoriums. Hinter all dem stehen ökonomische und politische Interessen der herrschenden Kreise in Komplizenschaft mit einigen Regierungen und indigenen Autoritäten. Opfer sind die verletzlichsten Gruppen, Kinder, Jugendliche, Frauen und die Schwester Mutter Erde.

11.    Wissenschaftler warnen vor den Risiken der Abholzung, von der gegenwärtig fast 17 Prozent des gesamten Amazonaswaldes betroffen sind. Sie bedroht das Überleben dieses ganzen Ökosystems, gefährdet die Biodiversität und verändert den lebenswichtigen Zyklus des Wassers für das Überleben des tropischen Regenwaldes. Darüber hinaus hat Amazonien eine sehr wichtige Funktion als Auffangbecken für den Klimawandel. Es liefert Systeme, die fundamental sind für das Leben und von unschätzbarem Wert für Luft, Wasser, Böden, Wälder und Biomasse. Gleichzeitig machen Spezialisten darauf aufmerksam, dass man die Fortschritte von Wissenschaft und Technologie für eine innovative Bio-Ökonomie bestehender Wälder und Flussläufe nutzen und so dazu beizutragen könne, den tropischen Regenwald zu retten, die Ökosysteme, die indigenen und traditionellen Völker Amazoniens zu schützen und gleichzeitig nachhaltiges Wirtschaften zu ermöglichen.

12.    Ein wichtiges Phänomen, das hier erwähnt werden soll, ist die Migration. In Amazonien gibt es gleichzeitig drei Migrationsprozesse. Erstens die Mobilität indigener Gruppen, die in den angestammten, jetzt aber von nationalen und internationalen Grenzen zerschnittenen Gebieten umherwandern. Zweitens die gewaltsame Vertreibung von indigenen Völkern, Bauern und Flussanrainern, die ihres Landes verwiesen werden und dann zumeist in den ärmsten und am wenigsten erschlossenen Teilen der Städte enden. Drittens die gewaltsame interregionale Migration und die Situation der Flüchtlinge, die gezwungen sind, ihre Heimatländer zu verlassen (unter anderem Venezuela, Haiti, Kuba) und die Amazonien als einen Migrationskorridor durchqueren müssen.

13.    Die Migration indigener Gruppen, die von ihrem Land vertrieben oder vom falschen Glanz der städtischen Kultur angelockt werden, stellt einen Sonderfall der Migrationsbewegungen Amazoniens dar. Die Fälle, in denen sich die Wanderbewegungen indigener Gruppen in ihren traditionellen, von nationalen und internationalen Grenzen zerschnittenen Territorien abspielen, erfordern eine grenzüberschreitende Pastoral, die in der Lage ist, Verständnis für das Recht auf die Bewegungsfreiheit dieser Gruppen zu wecken. Die Mobilität der Menschen in Amazonien offenbart das Antlitz des verarmten und hungernden (vgl. Mt 25,35), des vertriebenen und heimatlosen Christus (vgl. Mt 2, 13-14). Dieses Antlitz offenbart sich auch in der Feminisierung der Mobilität. Tausende von Frauen werden Opfer des Menschenhandels, einer der schlimmsten Formen der Gewalt gegen Frauen und eine der perversesten Verletzungen der Menschenrechte. Der Menschenhandel in Zusammenhang mit der Migration erfordert eine dauerhafte und vernetzte pastorale Arbeit.

14.    Das Leben der Gemeinschaften Amazoniens, die noch nicht von der westlichen Zivilisation berührt wurden, zeigt sich im Glauben und in Riten, in denen auf unzählige Weise die Geister der Gottheit angerufen werden, mit und in ihrem Territorium, mit und im Verhältnis zur Natur (LS 16, 91,117, 138, 240). Wir sollten anerkennen, dass sie während tausender Jahre für ihr Land, dessen Gewässer und Wälder Sorge getragen haben und dass es ihnen gelungen ist, diese bis heute zu bewahren, damit die Menschheit aus dem Gebrauch dieser geschenkten Gaben der Schöpfung Gottes Nutzen ziehen kann. Die neuen Wege der Evangelisierung müssen im Dialog mit diesen grundlegenden Kenntnissen entworfen werden, die Samenkörner des Wortes Gottes darstellen.

Die Kirche in Amazonien

15.               Im Prozess des Hörens auf die Klage des Territoriums und den Schrei der Völker hat sich die Kirche des von ihr selbst zurückgelegten Weges zu erinnern. Die Evangelisierung in Lateinamerika war ein Geschenk der göttlichen Vorsehung, die alle zur Rettung in Christus beruft. Trotz der militärischen, politischen und kulturellen Kolonialisierung und jenseits von Gier und Herrschsucht der Kolonisatoren haben viele Missionare ihr Leben für die Verbreitung des Evangeliums eingesetzt. Missionarischer Geist inspirierte nicht nur die Bildung christlicher Gemeinden, sondern auch die Gesetzgebung, zum Beispiel die "Leyes de Indias" (Gesetze Westindiens). Diese haben die Würde der Indígenas vor der Verwüstung ihrer Dörfer und Territorien beschützt. Die Gewalttätigkeiten jedoch haben die Gemeinschaften tief verletzt und die Botschaft des Evangeliums verdunkelt. Oft geschah die Verkündigung Jesu Christi in Komplizenschaft mit den Mächten, welche die Bevölkerung unterdrückten und die Bodenschätze ausbeuteten. Heute hat die Kirche die historische Chance, sich eindeutig von den neuen Kolonialmächten zu distanzieren, indem sie auf die Völker Amazoniens hört, um unzweideutig ihre prophetische Rolle wahrzunehmen. Die sozial-ökologische Krise bietet neue Möglichkeiten, um Christus in seiner befreienden und humanisierenden Kraft zu verkünden.

16.               Eine der rühmlichsten Seiten in der Geschichte Amazoniens haben die Männer und Frauen geschrieben, die Märtyrer wurden. Dass Menschen, die Jesus nachfolgen, auch an seinem Leiden, seinem Tod und seiner glorreichen Auferstehung teilnehmen, prägt bis heute das Leben der Kirche, besonders in solchen Momenten und an solchen Orten, in denen die Kirche wegen des Evangeliums Jesu in heftige Konflikte gerät, wie es beispielsweise heutzutage dort geschieht, wo Menschen sich mutig für eine ganzheitliche Ökologie in Amazonien einsetzen. Diese Synode würdigt mit Hochachtung alle, die unter Einsatz des eigenen Lebens die Weiterexistenz dieses Territoriums verteidigen.

Zur ganzheitlichen Umkehr gerufen

17.      Das Hören auf die Klage der Erde und den Schrei der Armen und der Völker Amazoniens, mit denen wir auf dem Weg sind, ruft uns zu einer wahrhaft ganzheitlichen Umkehr auf, zu einem einfachen und genügsamen Leben, das sich aus der mystischen Spiritualität im Stile eines Franz von Assisi speist, dem Beispiel für eine ganzheitliche, mit christlicher Freude und Leidenschaft gelebte Umkehr (vgl. LS 1012). Eine betende Betrachtung des Wortes Gottes wird uns helfen, das Seufzen des Geistes in uns zu entdecken und tiefer zu erfahren. So werden wir ermutigt, für das „Gemeinsame Haus“ zu sorgen.

18.      Als eine Kirche missionarischer Jünger erbitten wir die Gnade der Umkehr, „die beinhaltet, alles, was ihnen aus der Beziehung mit Jesus Christus erwachsen ist, in ihren Beziehungen zu der Welt, die sie umgibt, zur Blüte zu bringen“ (LS 217); eine persönliche und gemeinschaftliche Umkehr, die uns dazu verpflichtet, harmonisch mit dem Schöpfungswerk Gottes, dem „Gemeinsamen Haus“ zu leben; eine Umkehr, die Strukturen im Einklang mit der Bewahrung der Schöpfung schafft; eine pastorale Umkehr auf der Grundlage von Synodalität, die respektiert, dass alles Geschaffene mit allem verbunden ist. Eine Umkehr, die uns zu einer Kirche des Exodus, zu einer Kirche im Aufbruch macht und im Herzen aller Völker Amazoniens Einzug halten kann.

19.      So kann die eine Umkehr zum Evangelium des Lebens, das Jesus Christus selbst ist, sich in mehreren miteinander verbundenen Dimensionen entfalten und zum Motiv werden für den Exodus an die existenziellen, sozialen und geografischen Ränder Amazoniens. Es handelt sich um die pastorale, die kulturelle, die ökologische und die synodale Dimension, die in den vier folgenden Kapiteln entwickelt werden.

Kapitel 2

Neue Wege pastoraler Umkehr

„Wenn jemand nicht aus dem Wasser und dem Geist geboren wird, kann er nicht in das Reich Gottes kommen.“

(Joh 3,5)

20.  Eine missionarische Kirche im Aufbruch fordert von uns eine pastorale Umkehr. Für Amazonien bedeutet dies eben auch, zwischen unseren Leuten über unsere Flüsse und Seen zu „rudern“. In Amazonien trennt das Wasser nicht, sondern verbindet uns. Unsere Umkehr soll samaritanisch  und dialogisch sein; insofern sie Menschen mit den konkreten Gesichtszügen von Indigenen, Bauern, Afrikanischstämmigen (Quilombolas), Migranten, Jugendlichen und Stadtbewohnern begleitet. Die Voraussetzung dafür ist eine Spiritualität des Hinhörens und der Verkündigung. So wollen wir auch in diesem Kapitel vorgehen und „rudern“.

Eine Kirche im missionarischen Aufbruch

21.  Die Kirche ist von ihrem Wesen her missionarisch. Sie hat ihren Ursprung in der „Quellliebe bzw. Wertschätzung Gottes“ (AG 2). Die missionarische Dynamik, die aus der Liebe Gottes hervorgeht, strahlt aus, verbreitet sich, quillt über und verteilt sich im ganzen Universum. Durch die Taufe werden wir in die Dynamik der Liebe durch die Begegnung mit Jesus hineingezogen, „die unserem Leben einen neuen Horizont schenkt“. (vgl. DAp. 12). Diese überquellende Liebe treibt die Kirche zu einer pastoralen Umkehr und macht uns zu lebendigen Gemeinschaften, die sich in Gruppen und Netzwerken in den Dienst der Evangelisierung stellen. Eine so verstandene Mission ist nicht optional, eine Aktivität der Kirche unter vielen anderen, sondern macht ihr Wesen aus. Kirche ist Mission! „Das missionarische Handeln ist das Paradigma für alles Wirken der Kirche.“ (EG 15). Ein missionarischer Jünger sein, bedeutet mehr, als nur ein paar Aufgaben erledigen oder irgendwelche Dinge tun. Es ist vielmehr eine Frage des Seins. „Jesus [hat] uns, seine Jünger, darauf hingewiesen, dass unsere Sendung in der Welt nicht statisch sein darf, sondern auf dem Weg sein muss. Der Christ ist ein Wanderer.“

(Papst Franziskus, Angelus, 30. Juni 2019, http://w2.vatican.va/content/francesco/de/angelus/2019/ documents/papa-francesco_angelus_20190630.html)

a. Eine samaritanische, barmherzige und solidarische Kirche

22.  Wir wollen samaritanische Kirche in Amazonien sein, so inkarniert wie der Sohn Gottes sich inkarniert hat: „Er hat unsere Leiden auf sich genommen und unsere Krankheiten getragen.“ (Mt 8,17b). Er hat sich arm gemacht, um uns mit seiner Armut reich zu machen (vgl. 2 Kor 8,9). Durch seinen Geist ermahnt er die missionarischen Jünger von heute herauszugehen, um allen zu begegnen, insbesondere den ursprünglichen Völkern, den Armen, den aus der Gesellschaft Ausgeschlossenen und den Anderen. Wir wollen auch eine Kirche wie Maria Magdalena sein, die sich geliebt und versöhnt weiß und die voller Freude und Überzeugung den gekreuzigten und auferstandenen Christus verkündet. Wir wollen eine marianische Kirche sein, die aus Glauben Kinder zur Welt bringt und sie mit Zuneigung und Geduld aufzieht, indem sie von den Reichtümern der Völker lernt. Wir wollen eine dienende, verkündende, bildende und inkulturierte Kirche inmitten der Völker sein, denen wir dienen.

b. Eine Kirche im ökumenischen, interreligiösen und kulturellen Dialog

23. Die pluriethnische, plurikulturelle und plurireligiöse Wirklichkeit Amazoniens erfordert ein offenes und dialogisches Verhalten, das auch die Vielfalt der Gesprächspartner respektiert: die indigenen Völker, die Flussanrainer, die Bauern, die afrikanischstämmige Bevölkerung, die anderen christlichen Kirchen und religiösen Bekenntnisse, die Organisationen der Zivilgesellschaft, die sozialen Bewegungen, den Staat und letztlich alle Menschen guten Willens, die das Leben, die Bewahrung der Schöpfung, den Frieden und das Gemeinwohl schützen.

24. In Amazonien gilt „dass die Beziehungen zwischen Katholiken auf der einen und Pentekostalen, Charismatikern und Evangelikalen auf der anderen Seite in vielen Fällen nicht leicht sind. Das unvermittelte Auftreten neuer Gemeinschaften, die an die Persönlichkeit einiger Prediger gebunden sind, steht in starkem Kontrast zu den ekklesiologischen Prinzipien und Erfahrungen der historischen Kirchen und kann die Gefahr bergen, sich von momentanen Emotionen mitreißen zu lassen oder die Glaubenserfahrung in einem geschützten, beschwichtigenden Umfeld abzukapseln. Die Tatsache, dass nicht wenige katholische Gläubige von diesen Gemeinschaften angezogen werden, verursacht Spannungen, aber dies kann unsererseits Anlass sein für eine persönliche Überprüfung und pastorale Erneuerung.“

(Papst Franziskus, Ansprache an die Vollversammlung des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, Rom, 28. September 2018 – http://w2.vatican.va/content/francesco/de/ speeches/2018/september/documents/papa-francesco_20180928_ plenaria-pcpuc.html).

Der ökumenische, interreligiöse und interkulturelle Dialog muss als unverzichtbarer Weg für die Evangelisierung Amazoniens akzeptiert werden. (vgl. DAp 227). Amazonien ist eine Mixtur von zumeist christlichen Glaubensbekenntnissen. Hier eröffnen sich für uns Chancen realer Gemeinschaft: Wir sind uns „dessen bewusst, dass dafür die Bekundung aufrichtiger Gefühle nicht ausreicht. Es bedarf konkreter Gesten, die das Herz erfassen und die Gewissen aufrütteln, indem sie jeden zu der inneren Umkehr bewegen, die die Voraussetzung für jedes Fortschreiten auf dem Weg der Ökumene ist.“

(Papst Benedikt XVI., Botschaft bei der Eucharistiefeier mit den wahlberechtigten Kardinälen in der Sixtinischen Kapelle, am 20. April 2005, – http://w2.vatican.va/content/benedict-xvi/ de/messages/urbi/documents/hf_ben-xvi_mes_ 20050420_ missa-pro-ecclesia.html)

Die zentrale Bedeutung des Wortes Gottes im Leben unserer Gemeinden ist ein Faktor der Einheit und des Dialogs. Im Umfeld des Wortes Gottes können viele gemeinsame Dinge geschehen: Übersetzungen der Bibel in die lokalen Sprachen, gemeinsame Bibelausgaben, Verbreitung und Verteilung der Bibel sowie Treffen von katholischen Theologinnen und Theologen mit jenen verschiedener anderer Konfessionen.

25.  Der interreligiöse Dialog ereignet sich in Amazonien insbesondere mit den indigenen Religionen und den Kulten afrikanischer Herkunft. Diese Traditionen sind es wert, gewürdigt und in ihren eigenen Ausdrucksformen und Beziehungen zum Wald wie zur Mutter Erde verstanden zu werden. Auf der Basis ihres Glaubens an das Wort Gottes treten die Christen gemeinsam mit ihnen in einen Dialog, indem sie sich über ihr Leben, ihren Einsatz, ihre Gotteserfahrungen austauschen, so einander im Glauben bestärken und zusammen das „Gemeinsame Haus“ schützen. Zu diesem Zweck müssen die Kirchen Amazoniens Initiativen für Begegnung, Studium und Dialog mit den Anhängern dieser Religionen ergreifen. Der ernsthafte, respektvolle Dialog baut eine Brücke zur Entwicklung des „Guten Lebens“ (buen vivir). Im Austausch der Gaben führt der Heilige Geist immer mehr zur Wahrheit und zum Guten (vgl. EG 250).

Eine missionarische Kirche im Dienst und an der Seite der Völker Amazoniens

26.  Diese Synode selbst will entschieden an alle Getauften Amazoniens appellieren, missionarische Jünger zu werden. Die Sendung zur Mission gehört zur Taufe und gilt für alle Getauften. Durch Christus erhalten wir alle die gleiche Würde, Töchter und Söhne Gottes zu sein. Niemand darf von diesem Auftrag an Jesu Jünger ausgeschlossen werden. „Geht hinaus in die ganze Welt und verkündet das Evangelium der ganzen Schöpfung“ (Mk 16,15). Deshalb glauben wir, dass von den einheimischen Berufungen ein stärkerer missionarischer Impuls ausgehen muss; Amazonien muss von den Menschen Amazoniens selbst evangelisiert werden.

a. Eine Kirche mit indigenen, bäuerlichen und afrikanischstämmigen Gesichtszügen

27.               Der indigenen Pastoral ist dringend ein spezifischer Platz in der Kirche einzuräumen. Wir gehen aus von den pluralen Realitäten und verschiedenen Kulturen. Auf dieser Basis bestimmen, erarbeiten und ergreifen wir pastorale Aktivitäten mit dem Ziel, im Rahmen der Indígena- und Landpastoral zusammen mit den Indígena-Gemeinden einen Vorschlag zur Evangelisierung zu entwickeln. Die Pastoral der indigenen Völker hat ihren ganz eigenen Charakter. Die Kolonialisierung, durch die Geschichte hindurch von der verheerenden Ausbeutung des Bodens angetrieben, hat verschiedene Migrationsbewegungen ausgelöst und diese Gemeinschaften sehr verletzlich gemacht. Die vorrangige Option für die indigenen Völker zu treffen bzw. beizubehalten, ist in diesem Kontext für die Kirche unabdingbar. In diesem Sinne müssen die diözesanen Organe für die Indígena-Pastoral mit einer erneuerten missionarischen Vorgehensweise ausgestattet und stabilisiert werden, die sie befähigt, zuzuhören, sich dialogisch zu verhalten, ganz inkarniert und ständig vor Ort anwesend zu sein. Die vorrangige Option für die indigenen Völker, für ihre Kulturen, Identitäten und Geschichte verlangt von uns, eine indigene Kirche mit eigenen Priestern und Verantwortlichen in Dienstämtern anzustreben, die stets in Einheit und voller Gemeinschaft mit der katholischen Kirche bleibt.

28.               Auch wenn die Kirche weiß, mit welcher Dringlichkeit sie sich dem Phänomen der Urbanisierung in Amazonien sowie den damit verbundenen Problemen und Perspektiven widmen muss, hat sie sich doch auch den ländlichen Regionen insgesamt und der Landpastoral im Besonderen zuzuwenden. Die Kirche muss auf das Phänomen der Entvölkerung ländlicher Zonen mit den entsprechenden Nachwirkungen (Verlust der Identität, vorherrschender Säkularismus, Ausbeutung der Landarbeit, Zerbrechen der Familien etc.) pastoral reagieren.

b. Eine Kirche mit den Gesichtszügen von Migranten

29.  Das Phänomen der Migration ist heutzutage angesichts seiner Ausweitung und Größenordnung zu einer beispiellosen politischen, gesellschaftlichen und kirchlichen Herausforderung geworden (vgl. DAp 517 k). Vor diesem Hintergrund haben kirchliche Gemeinden Migranten sehr großzügig aufgenommen und so an das Evangelium erinnert: „Ich war fremd und ihr habt mich aufgenommen“ (Mt 25,35). Indigene, bäuerliche, afrikanischstämmige Familien und Familien von Flussanrainer sind von ihren Ländereien gewaltsam oder aus einem erdrückenden Mangel an Lebenschancen in die Städte vertrieben worden. Das erfordert eine Gesamt-Pastoral in der Peripherie der urbanen Zentren. Missionarische Equipen müssten gebildet werden, die diese Menschen begleiten; sie sollten in Abstimmung mit den Pfarreien sowie anderen kirchlichen und nichtkirchlichen Institutionen die Bedingungen für die Aufnahme dieser Menschen in der Stadt koordinieren, angepasste Liturgien in der Sprache der Migranten anbieten und Räume für einen kulturellen Austausch einrichten. So fördern sie die Integration dieser Menschen in die Gemeinde und in die Stadt; und durch diese Arbeit ermuntern sie die Menschen wiederum, selbst aktiv zu werden.

c. Eine Kirche mit den Gesichtszügen der Jugend

30.               Unter den verschiedenen Gesichtern Amazoniens tritt besonders das der Jugendlichen hervor, auf die man überall trifft: Jugendliche mit den Gesichtszügen von Indigenen, afrikanischstämmigen Menschen, Flussanrainern, Arbeitern in der Extraktivismusindustrie, von Migranten, von Flüchtlingen und von vielen anderen. Die Jugendlichen leben in der Stadt und auf dem Land, träumen von und suchen täglich nach besseren Lebensbedingungen; im Tiefsten sehnen sie sich nach einem Leben in Fülle. Schüler, Studierende und Arbeiter sind in den verschiedenen sozialen und kirchlichen Zusammenhängen stark vertreten. Unter den Jugendlichen Amazoniens trifft man auch auf traurige Zustände: Armut, Gewalt, Krankheit, Kinderprostitution, sexuelle Ausbeutung, Drogenkonsum und -handel, Frühschwangerschaft, Arbeitslosigkeit, Depression, Menschenhandel, neue Formen von Sklaverei, Organhandel, Schwierigkeiten beim Zugang zu Bildung, Gesundheit und sozialer Beratung. In den letzen Jahren war leider ein signifikanter Anstieg an Selbstmorden von Jugendlichen zu verzeichnen, ebenso wie eine zunehmende Anzahl von jugendlichen Gefangenen, von Verbrechen unter Jugendlichen und gegen sie, insbesondere bei afrikanischstämmigen Jugendlichen in der Peripherie der Städte. Obwohl sie im riesigen Territorium Amazoniens leben, haben sie die gleichen Träume und Wünsche wie andere Jugendliche auf der ganzen Welt: Sie wollen beachtet und respektiert werden, sie wollen die Möglichkeit haben zu lernen, zu arbeiten und einer hoffnungsvollen Zukunft entgegenzugehen. Aber sie stecken mitten in einer tiefen Wertekrise bzw. im Übergang zu anderen Weisen der Realitätswahrnehmung, in denen sich ethische Verhaltensweisen verändern. Das gilt auch für indigene Jugendliche. Die Kirche hat die Aufgabe, ihnen beizustehen, damit sie jeder Situation entgegentreten können, die ihre Identität zerstört oder ihr Selbstwertgefühl beschädigt.

31.               Auch unter den Migranten in der Region gibt es ausgesprochen viele Jugendliche. Die Realität von Jugendlichen in den städtischen Zentren verdient besondere Aufmerksamkeit. Immer mehr Städte nehmen alle ethnischen Gruppen, Völker und Probleme Amazoniens auf. Das ländliche Amazonien wird immer mehr entvölkert; die Städte sehen sich enormen Problemen gegenüber, sind mit jugendlicher Straffälligkeit, fehlenden Arbeitsplätzen, ethnischen Konflikten und sozialen Ungerechtigkeiten konfrontiert. Ganz besonders hier ist die Kirche berufen, als prophetische Stimme unter den Jugendlichen anwesend zu sein, indem sie ihnen beisteht und eine passende Ausbildung anbietet.

32.               In engem Kontakt mit der Lebenswirklichkeit der Jugend Amazoniens verkündet die Kirche den Jugendlichen Jesu Frohe Botschaft, steht ihnen bei, ihre eigene Berufung zu entdecken; versteht sich als Raum, in dem sie sich mit ihrer heimischen Kultur und Identität wertgeschätzt fühlen; regt die Jugendlichen an, ihre Sache und ihre Rechte selbst in die Hand nehmen; betreibt eine kreative, innovative und differenzierte Evangelisierung durch eine neue, wagemutige Jugendpastoral. Eine solche Pastoral ist stets im Prozess, hat ihre Mitte in Jesus Christus und seinem Projekt, verfährt dialogisch und ganzheitlich, und weiß sich allem, was die Wirklichkeit der Jugendlichen in Amazonien ausmacht, verpflichtet. Die indigenen Jugendlichen verfügen über ein enormes Potenzial; sie beteiligen sich aktiv in ihren Gemeinschaften und Organisationen, übernehmen die Rollen von Führungskräften und Animateuren bei der Verteidigung von Rechten, besonders in Bezug auf Land, Gesundheit und Bildung. Andererseits sind sie auch die ersten Opfer, wenn die indigenen Territorien nicht durch eine qualifizierte Politik geschützt sind. Die Verbreitung von Alkohol und Drogen trifft auch die indigenen Gemeinschaften, schädigt die Jugendlichen schwer und hindert sie daran, in Freiheit zu leben, ihre Lebensträume umzusetzen und aktiv an der Gemeinschaft teilzuhaben.

33.               Dass Jugendliche ihr Leben selbst in die Hand nehmen sollen, bringen die Dokumente der Jugendsynode (160, 46), das päpstliche Lehrschreiben „Christus Vivit“ (170) und die Enzyklika „Laudato si’“(209) klar zum Ausdruck. Die Jugendlichen selbst wollen ebenfalls über ihr Leben bestimmen, und die Kirche Amazoniens will ihnen dafür Raum geben. Sie will sie aufmerksam zuhörend begleiten und die Jugendlichen als theologischen Ort, als „Propheten der Hoffnung“ respektieren, die sich dem Dialog verpflichten und ökologisch sensibel für das „Gemeinsame Haus“ sorgen. Sie will eine Kirche sein, die Jugendliche willkommen heißt und mit ihnen zusammen unterwegs ist, besonders an den Peripherien. Vor diesem Hintergrund stellen sich drei dringliche Herausforderungen:

–    Neue Formen der Evangelisierung mit Hilfe der sozialen Medien zuentwickeln (Papst Franziskus, Christus Vivit 86),

–    den indigenen Jugendlichen zu helfen, zu einer heilsamen Inter-kulturalität zu finden,

–    und ihnen behilflich sein, sich mit der Krise des Werteverfalls zukonfrontieren, die ihr Selbstwertgefühl zerstört und ihre Identität untergräbt.

d. Eine Kirche auf neuen Wegen in der Stadtpastoral

34.               Die starke Tendenz der gesamten Menschheit, sich in den Städten zu konzentrieren und darüber hinaus noch von den kleineren in die größeren Städte zu ziehen, erfasst auch Amazonien. Das beschleunigte Wachstum der amazonensischen Metropolen führt zur

Entstehung urbaner Peripherien. Gleichzeitig werden Lebensstile, Formen des Zusammenlebens, Sprachweisen und Werte, die sich in den Metropolen herausgebildet haben, vermittelt und immer mehr sowohl in den indigenen Gemeinschaften als auch im übrigen ländlichen Raum etabliert. Die Familie in der Stadt ist ein Ort, an dem traditionelle und moderne Kultur aufeinanderstoßen. Oft leiden Familien jedoch unter der Armut, unter prekären Wohnverhältnissen, unter der Arbeitslosigkeit, unter dem erhöhten Konsum von Drogen und Alkohol, unter Diskriminierung und unter dem Selbstmord von Kindern. Darüber hinaus unterbleibt im Familienleben das Gespräch zwischen den Generationen. So gehen Traditionen und alte Sprachen verloren. Familien sind auch mit neuen Gesundheitsproblemen konfrontiert, die eine angemessene Aufklärung über die Mutterschaft erforderlich machen. Beschleunigte Veränderungsprozesse beschädigen heute die amazonische Familie. So stoßen wir auf neue Familienkonstellationen: auf Familien mit alleinerziehenden Frauen, auf immer mehr getrennte Familien, auf vereinbarte Partnerschaften und „Stief-Familien“ (Patchworkfamilien), aber auf immer weniger institutionalisierte Ehen. In der Stadt explodiert das Leben, weil „Gott in der Stadt lebt“ (DAp 514). In ihr gibt es Träume und die Suche nach dem Sinn des Lebens, Konflikte, aber auch Solidarität, Geschwisterlichkeit und die Sehnsucht nach Güte, Wahrheit und Gerechtigkeit (vgl. EG 71-75).

Die Stadt oder die städtische Kultur zu evangelisieren, heißt „zu erreichen, dass durch die Kraft des Evangeliums die Urteilskriterien, die bestimmenden Werte, die Interessenpunkte, die Denkgewohnheiten, die Quellen der Inspiration und die Lebensmodelle der Menschheit, die zum Wort Gottes und zum Heilsplan im Gegensatz stehen, umgewandelt werden“ (EN 19).

35.               Es ist notwendig, das Recht aller Menschen auf die Stadt zu verteidigen. Das eingeforderte Recht auf Stadt ist definiert als der gleiche Zugang zur Stadt auf der Basis der Prinzipien von Nachhaltigkeit, Demokratie und sozialer Gerechtigkeit. Es wird jedoch auch notwendig sein, in die Politik einzugreifen und Initiativen zu unterstützen, welche die Lebensqualität in den ländlichen Räumen verbessern und einen unkontrollierten Weggang vom Land vermeiden helfen.

36.               Die kirchlichen Basisgemeinden waren und sind ein Geschenk Gottes an die Ortskirchen Amazoniens. Man muss jedoch zugestehen, dass sich im Laufe der Zeit einige Basisgemeinden verausgabt haben, schwächer geworden oder ganz verschwunden sind. Die große Mehrheit jedoch ist beharrlich geblieben und bildet das pastorale Fundament vieler Pfarreien. Gefährdet werden die Basisgemeinden heutzutage besonders durch den Säkularismus, den Individualismus, das Fehlen der sozialen Dimension und den Verlust missionarischer Orientierung. Deshalb müssen die Bischöfe alle und jeden einzelnen Gläubigen zu einem missionarischen Jüngersein ermutigen.

Die kirchliche Basisgemeinde sollte sich an den Politikfeldern beteiligen, in denen Maßnahmen zur Belebung der Kultur, des Zusammenlebens, der Erholung und des Festes ergriffen werden. Wir müssen uns dafür einsetzen, dass den Elendsvierteln, den „Favelas“ und den

„villas miserias“ die grundlegenden Menschenrechte auf Wasser- und Energieversorgung, auf Wohnung und Förderung einer ganzheitlich ökologischen Stadtgestaltung garantiert werden. Wir sollten in die städtischen Gemeinden Amazoniens ein Dienstamt für die Aufnahme von Migranten, Flüchtlingen, Obdachlosen und von Menschen, die das Landinnere verlassen haben, einrichten, um die geschwisterliche Solidarität mit ihnen zu stärken.

37.               Die Lage der indigenen Völker in den urbanen Zentren verdient eine besondere Aufmerksamkeit. Sie sind den enormen Problemen jugendlicher Straffälligkeit, Arbeitslosigkeit, ethnischer Auseinandersetzungen und sozialer Ungerechtigkeit in besonderer Weise ausgesetzt. Das ist heutzutage eine der größten Herausforderungen: Immer mehr werden die Städte das Ziel aller Ethnien und Völker Amazoniens. Es wird notwendig sein, eine indigene Pastoral in der Stadt aufzubauen, die sich um diese spezifische Wirklichkeit kümmert.

e. Eine Spiritualität des Hinhörens und des Verkündens

38.  Die Pastoral speist sich aus einer Spiritualität, die ihren Grund hat im Hören auf das Wort Gottes und auf den Schrei seines Volkes, um dann die Frohe Botschaft mit prophetischem Geist verkünden zu können. Wir erkennen an, dass die Kirche, die den Schrei des Heiligen Geistes im Schrei Amazoniens hört, sich die Freude und Hoffnung, die Trauer und Angst aller, insbesondere der Ärmsten, die die bevorzugten Kinder Gottes sind, zu Eigen macht (vgl. GS 1). Wir entdecken, dass die machtvollen Wasser des Geistes, ähnlich denen des Amazonas, die regelmäßig über die Ufer treten, uns zu einem Leben in Fülle führen, das Gott uns schenken will, damit wir es gemeinsam verkünden.

Neue Wege zur pastoralen Umkehr

39.    Die missionarischen Wanderequipen Amazoniens, die auf ihren Wegen Gemeinden gründen und miteinander vernetzen, helfen, die Synodalität der Kirche zu stärken. In ihnen wirken verschiedene Charismen, Institutionen und Kongregationen, gläubige Frauen und Männer, Ordensleute und Priester zusammen. Sie tun sich zusammen, um dorthin zu kommen, wohin die einzelnen allein nicht gehen könnten. Die Missionare, die ihre Stationen verlassen und sich auf die Reise begeben, um für eine gewisse Zeit Gemeinde für Gemeinde zu besuchen und die Sakramente zu spenden, praktizieren das, was man als „Besuchs-Pastoral“ bezeichnet. Diese pastorale Methode entspricht den Bedingungen und Möglichkeiten, die unsere Kirchen heute haben. Dank dieser Methode und dem Wirken des Heiligen Geistes haben die besuchten Gemeinden eine Fülle von Dienstämtern entwickelt. Das ist ein, Grund dankbar zu sein.

40.    Wir schlagen vor, dass die Wandermissionare ein Netz bilden. Es soll die Bemühungen der verschiedenen Equipen zusammenführen, die das Leben und den Glauben der Gemeinden Amazoniens begleiten und lebendig erhalten. Die Chancen politischer Einflussnahme zur Veränderung der Situation sollten gemeinsam mit Bischöfen und Laien ermittelt werden. Um von der Besuchspastoral zur permanenten Anwesenheit vor Ort übergehen zu können, werden die Kongregationen und Ordensprovinzen der Welt, die noch nicht an missionarischen Aktivitäten teilhaben, aufgefordert, wenigstens eine missionarische Initiative in irgendeinem der Länder Amazoniens zu beginnen.

Kapitel 3

Neue Wege kultureller Umkehr

„und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt“

(Joh 1,14)

41.  Lateinamerika verfügt über eine immense Biodiversität und eine große kulturelle Vielfalt. Darunter ist Amazonien das Land der Wälder und Gewässer, der Sümpfe und Flussauen (Überschwemmungsgebiete), der Savannen und Gebirge. Vor allem aber ist es das Land unzähliger Völker, viele von ihnen mit einer mehrtausendjährigen Geschichte, seit Urzeiten Bewohner dieses Territoriums, Völker mit alten Weisheiten, deren Duft sich bis heute im ganzen Kontinent gegen alle Verzweiflung verbreitet. Wir müssen auch kulturell umkehren, zu anderen werden und vom Anderen lernen. Das heißt, präsent sein, ihre Werte respektieren und schätzen, bei der Verkündigung der Frohen Botschaft die Inkulturation und die Interkulturalität leben und praktizieren. Den Glauben in Amazonien zu leben und zum Ausdruck zu bringen, ist eine stete Aufgabe. Dieser Glaube inkarniert sich nicht nur durch die pastorale Arbeit, sondern auch durch konkretes Tun für Andere, in der Sorge um die Gesundheit, in Erziehung und Ausbildung, in der Solidarität und Hilfe für die Verletzlichsten. Über all das wollen wir in diesem Abschnitt miteinander nachdenken.

Das Gesicht der Kirche in den Völkern Amazoniens

42.  Die plurikulturelle Realität in den Territorien Amazoniens erfordert einen Blick, der alle im Auge behält; der hilft, eine Sprache zu sprechen, die alle Gruppen wahrnimmt und miteinander verbindet, eine Sprache, welche die jeweiligen Identitäten würdigt, damit diese in Kirche und Gesellschaft Anerkennung finden, respektiert und gefördert werden, damit andererseits aber auch Gesellschaft und Kirche die Völker Amazoniens als rechtskräftige Partner für Dialog und Begegnung ernst nehmen. Puebla spricht von den Gesichtern, die Lateinamerika bewohnen, (vgl. DP 31 ff.), und bemerkt, dass es in den ursprünglichen Völkern einen Prozess der Vermischung gibt, der mit jeder wohlwollenden und jeder konfliktiven Begegnung zwischen den verschiedenen Kulturen auf diesem Kontinent immer stärker zugenommen hat. Diese Züge prägen auch das Antlitz der Kirche Amazoniens. Sie hat sich in diesem Territorium inkarniert; die Kirche evangelisiert und eröffnet Wege, damit sich die Völker in den verschiedenen Prozessen eines am Evangelium orientierten Lebens unterstützt fühlen. Auch die Angehörigen der Völker selbst haben eine neue Bedeutung der Mission entdeckt, indem sie eine prophetische und samaritanische Mission der Kirche verwirklichen, die durch die Offenheit für den Dialog mit anderen Kulturen erweitert werden muss. Nur eine missionarische Kirche, die sich uneingeschränkt auf die hiesige Realität und Kultur eingelassen hat, kann einheimische Ortskirchen entstehen lassen, mit dem Gesicht und Herzen Amazoniens. Solche Kirchen werden in den eigenständigen Kulturen und Traditionen der Völker verwurzelt und im selben Glauben an Christus miteinander verbunden sein, sich aber unterscheiden in der Art, den Glauben zu leben, zum Ausdruck zu bringen und zu feiern.

a. Die kulturellen Werte der Völker Amazoniens

43.    Bei den Völkern Amazoniens finden wir Lehren für das Leben. Die ursprünglichen Völker und alle, die später hinzukamen, und durch ihr Zusammenleben die eigene Identität herausbildeten, tragen kulturelle Werte in sich, in denen wir Samenkörner des Wortes Gottes entdecken. Im Urwald ist nicht nur die Vegetation eng miteinander verbunden, sodass die eine Spezies die andere am Leben erhält. Auch die Völker verbinden sich untereinander und knüpfen Netze der Solidarität, die allen nützen. Der Urwald lebt von gegenseitigen Beziehungen und Abhängigkeiten, und das geschieht in allen Bereichen des Lebens. Dank dessen wurde das fragile Gleichgewicht Amazoniens über Jahrhunderte gesichert.

44.    Das Denken der indigenen Völker bietet uns eine integrierende Sicht der Wirklichkeit an, die in der Lage ist, zu verstehen, wie alles was geschaffen wurde, vielfältig miteinander verbunden ist. Das steht im Gegensatz zur herrschenden Strömung im westlichen Denken, das dazu neigt, die Wirklichkeit zu zerlegen, um sie zu verstehen. Aber es gelingt ihm nicht, die Gesamtheit der Beziehungen zwischen den verschiedenen Bereichen des Wissens wieder miteinander in Beziehung zu setzen. Der traditionelle Umgang mit der Natur war von der Art, die wir heute als nachhaltiges Verfahren bezeichnen. Auch andere Werte können wir bei den ursprünglichen Völkern entdecken: Gegenseitigkeit, Solidarität, Gemeinschaftssinn, Gleichheit, Familie, soziale Organisation und Dienstbereitschaft.

b. Die Kirche in den Territorien als Verbündete der Völker

45.               Die Gier nach Land verursacht Konflikte, die zum Ethnozid führen sowie zur Kriminalisierung sozialer Bewegungen und zur Ermordung ihrer Verantwortlichen. Die Demarkierung des Landes und deren Befolgung obliegt den Nationalstaaten und ihren jeweiligen Regierungen. Jedoch bleibt ein guter Teil des indigenen Landes ungeschützt. Die bereits demarkierten Gebiete werden von Vortruppen der extraktivistischen Industrie aus Bergbau und Holzfällerei überfallen sowie durch große Infrastrukturprojekte, durch illegalen Anbau und durch Großgrundbesitz gekapert, der Monokultur und extensive Viehzucht betreibt.

46.               Die Kirche verpflichtet sich, als Bündnispartnerin der Völker Amazoniens Klage zu führen gegen die Anschläge auf das Leben der indigenen Gemeinschaften, gegen Projekte, welche die Umwelt schädigen, gegen das Unterlassen der Demarkierung ihrer Territorien, wie auch gegen das ökonomische Entwicklungsmodell, das ausplündert und den Ökozid verursacht. Die Kirche muss unter den indigenen und traditionellen Gemeinschaften mit dem Bewusstsein präsent sein, dass die Verteidigung des Landes keine andere Zielsetzung hat als die Verteidigung des Lebens.

47.               Das Leben der indigenen Völker, der Mestizen, der Flußanrainer, der Bauern, der Menschen in den Fliehdörfern (Quilombolas) und/oder der afrikanischstämmigen und traditionellen Gemeinschaften wird durch Zerstörung, Ausbeutung der Umwelt und systematische Verletzung ihrer Landrechte bedroht. Die Rechte auf Selbstbestimmung, auf Demarkierung der Territorien und auf vorgängige, freie und auf Informationen beruhende Konsultation müssen verteidigt werden. Diese Völker gehören zu jenen, „die sich infolge ihrer sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse von anderen Teilen der nationalen Gemeinschaft unterscheiden und deren Stellung ganz oder teilweise durch die ihnen eigenen Bräuche oder Überlieferungen oder durch Sonderrecht geregelt ist.“ (Konvention 169 der IAO, Art. 1, 1a). Für die Kirche ist die Verteidigung des Lebens, der Gemeinschaft, des Landes und der Rechte der indigenen Völker ein Prinzip des Evangeliums zur Verteidigung der Menschenwürde: „Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben“ (Joh 10, 10b).

48.               Die Kirche fördert die ganzheitliche Erlösung des Menschen, indem sie die Kultur der indigenen Völker wertschätzt, für ihre Grundbedürfnisse eintritt und ihre Organisationen beim Kampf für ihre Rechte unterstützt. Unser pastoraler Dienst ist eingegliedert in den Dienst an der Fülle des Lebens für die indigenen Völker, der uns dazu drängt, die Frohe Botschaft vom Reich Gottes zu verkünden und zugleich sündhafte Verhältnisse, Strukturen von Tod, Gewalt und Unrecht anzuklagen und den interkulturellen, interreligösen und ökumenischen Dialog zu fördern (vgl. DAp Nr. 95).

49.               Ein besonderes Thema sind die indigenen Völker in freiwilliger Isolation (PIAV) bzw. die indigenen Völker in Isolation und mit anfänglichen Kontakten (PIACI). In Amazonien leben etwa 130 Völker bzw. Völkerstämme, die keine systematischen oder dauerhaften Kontakte mit der sie umgebenden Gesellschaft unterhalten. Misshandlungen und systematische Gewaltakte in der Vergangenheit führten dazu, dass sie sich in schwerer zugängliche Orte zurückzogen, um Schutz zu suchen, ihre Autonomie zu bewahren und Beziehungen zu Dritten einzuschränken oder ganz zu vermeiden. Heute wird ihr Leben immer wieder bedroht, weil ihre Territorien von verschiedenen Fronten aus überfallen werden. Weil sie in demografischer Hinsicht nur so wenige sind, werden sie leicht zu Opfern ethnischer Säuberung und sind der Gefahr des Verschwindens ausgesetzt. Bei seinem Treffen mit den indigenen Völkern in Puerto Maldonado im Januar 2018 erinnerte uns Papst Franziskus, dass sie „die Verwundbarsten unter den Verwundbaren sind. (…) Setzt die Verteidigung dieser am meisten verwundbaren Brüder und Schwestern weiter fort! Ihre Präsenz erinnert uns daran, dass wir über die Gemeingüter nicht im Rhythmus der Gier des Konsums verfügen können.“ (Franziskus, Puerto Maldonado). Die Option für den Schutz dieser Völker (PIAV/PIACI) gehört zur pastoralen Verantwortlichkeit der Ortskirchen.

50.               Diese Verantwortlichkeit muss sichtbar werden durch besondere Aktivitäten zur Verteidigung ihrer Rechte, muss konkretisiert werden durch Interventionen in die Politik, damit die Staaten sich den Schutz ihrer Rechte zu Eigen machen, indem sie die Territorien, die diese Völker seit unvordenklichen Zeiten bewohnen, durch gesetzliche, unverletzliche Garantien sichern. Dies schließt auch vorbeugende Maßnahmen in Regionen ein, wo es lediglich Zeichen ihrer Anwesenheit gibt, die nicht offiziell bestätigt sind. Ebenso geht es um Mechanismen bilateraler Kooperation zwischen Staaten, wenn diese Gruppen in grenzüberschreitenden Räumen leben. Zu jeder Zeit ist ihre Selbstbestimmung und ihre freie Entscheidung über die Art der Beziehungen, die sie mit anderen Gruppen eingehen wollen, zu respektieren und zu garantieren. Das ganze Volk Gottes und insbesondere die Bevölkerungen in der Nachbarschaft der PIAV/PIACI müssen dafür sensibilisiert werden, dass diese Völker Respekt verdienen und ihre Territorien als unverletzlich anerkannt werden. Wie schon der heilige Johannes Paul II. 1991 in Cuiabá sagte: „Die Kirche, liebe indigenen Schwestern und Brüder, war und wird immer auf eurer Seite stehen, wenn es darum geht, die Würde des Menschen und sein Recht auf ein friedliches Leben zu verteidigen, indem sie die Werte ihrer Traditionen, Bräuche und Kulturen respektiert.“

Wege zu einer inkulturierten Kirche

51.  Durch seine Inkarnation hielt Christus nicht daran fest, wie Gott zu sein. Er wurde Mensch in einer konkreten Kultur, um sich mit der gesamten Menschheit zu identifizieren. Inkulturation bedeutet Inkarnation des Evangeliums in die jeweiligen einheimischen Kulturen („was nicht angenommen ist, ist nicht erlöst“ Hl. Irinäus, vgl. DP 400) und zugleich Eingliederung dieser Kulturen in das Leben der Kirche. Diesen Prozess gestalten die Völker in eigener Verantwortung, unterstützt von den Mitarbeitenden in der Pastoral und von den Bischöfen.

a. Glaubenserfahrung durch Volksfrömmigkeit und inkulturierte Katechese

52.               Die Volksfrömmigkeit ist ein wichtiges Mittel, durch das viele Völker Amazoniens ihre spirituelle Erfahrungen, ihre kulturellen Wurzeln und ihre Verbundenheit mit der Gemeinschaft erleben. Durch Bilder, Symbole, Traditionen, Riten und andere Sakramentalien bringen die einfachen Leute ihren Glauben zum Ausdruck. Wallfahrten, Prozessionen und Patronatsfeste müssen wertgeschätzt, begleitet, unterstützt und hin und wieder auch bereinigt werden, weil sie vorzügliche Momente der Evangelisierung sind, die zur Begegnung mit Christus führen sollen. Die Verehrung Mariens ist in Amazonien und in ganz Lateinamerika tief verwurzelt.

53.               Die Bruderschaften, Vereinigungen von Laien und mit der Volksfrömmigkeit verbundenen Gruppen zeichnet aus, dass sie nicht klerikalisiert sind. Die Laien übernehmen die Führung, was sie in anderen kirchlichen Sphären kaum schaffen. Schwestern und Brüder übernehmen Dienste, leiten Andachten, Segnungen, traditionelle Kirchengesänge. Sie beten Novenen, organisieren Prozessionen, veranstalten Patronatsfeste und vieles andere mehr. "Die Katechese muss so gestaltet sein, dass sie den Glauben, der in der Volksreligiosität bereits vorhanden ist, einbezieht. Konkret könnte es zum Beispiel so sein, dass ein Prozess der christlichen Initiation [..] uns dahin bringt, Jesus Christus immer ähnlicher zu werden, [indem wir uns seine Verhaltensweisen immer mehr zu Eigen machen]“ (DAp 300).

b. Das Geheimnis des Glaubens im Spiegel einer inkulturierten Theologie

54.  Die indigene Theologie, die Theologie mit dem Antlitz Amazoniens und die Volksfrömmigkeit gehören schon zum Reichtum der indigenen Welt, zu ihrer Kultur und Spiritualität. Wenn die Missionare und Pastoralveranwortlichen Jesu Evangelium verkünden, identifizieren sie sich mit der Kultur. So entsteht Begegnung, in der das Zeugnis, der Dienst, die Verkündigung und das Erlernen der Sprache möglich werden. Die indigene Welt mit ihren Mythen, Erzählungen, Riten, Liedern, Tänzen und spirituellen Ausdrucksformen bereichert die interkulturelle Begegnung. Puebla erkennt schon an, dass „die Kulturen [...] nicht ein Leerraum [sind], der frei von authentischen Werten wäre. Die Evangelisierung der Kirche ist nicht ein Prozess der Zerstörung, sondern der Festigung und der Stärkung dieser Werte; ein Beitrag zum Wachsen der ‚Samenkörner des Wortes‘“ (DP 401, vgl. GS 57).

Wege zu einer interkulturellen Kirche

a. Respekt vor den Kulturen und den Rechten der Völker

55.  Wir alle sind dazu aufgefordert, „uns den amazonischen Völkern auf Zehenspitzen [anzunähern], indem wir ihre Geschichte, ihre Kulturen, ihren Stil, ein gutes Leben zu führen [buen vivir ...] respektieren“. (Papst Franziskus, Ansprache zur Eröffnung der Amazoniensynode,

7. Oktober 2019). Der Kolonialismus besteht darin, dass die einen Völker den anderen bestimmte Arten zu leben überstülpen, sei es in ökonomischer, kultureller oder religiöser Hinsicht. Eine Evangelisierung nach Art des Kolonialismus lehnen wir ab. Die Frohe Botschaft Jesu zu verkündigen, bedeutet, die „Samenkörner des Wortes“ anzuerkennen, die in den Kulturen bereits vorhanden sind. Die Evangelisierung, die wir heute für Amazonien vorschlagen, ist eine inkulturierte Verkündigung, aus der Prozesse interkultureller Begegnung hervorgehen, sodass das Leben der Kirche immer stärker von der Identität und dem Antlitz Amazoniens geprägt wird.

b. Förderung des interkulturellen Dialogs in einer globalisierten Welt

56.      Im kirchlichen Evangelisierungsauftrag, der nicht mit Proselytismus verwechselt werden darf, haben wir missionarische Methoden und Schemata anzuwenden, die ohne jeden Zweifel aus inkulturierten Prozessen entstehen. Insbesondere schlagen wir vor, dass die Forschungs- und Pastoralzentren der Kirche im Übereinkommen mit den indigenen Völkern die Traditionen der Ethnien Amazoniens studieren, zusammenstellen und systematisieren, um eine Bildungsarbeit zu ermöglichen, die von der Identität und Kultur dieser Völker ausgeht, bei der Förderung und Verteidigung ihrer Rechte behilflich ist sowie deren Bedeutung im kulturellen Kontext Lateinamerikas bewahrt und verbreitet.

57.      Bildungsmaßnahmen heute müssen sich dem Problem der Inkul-turation stellen. Es ist nicht einfach, Methoden und Inhalte an den Völkern auszurichten, in denen man den Dienst des Unterrichtens wahrnehmen will. Dafür muss man ihre Sprachen, ihre Glaubensüberzeugungen und Wünsche, ihre Bedürfnisse und Hoffnungen kennen. Ebenso wichtig ist es, Bildungsprozesse gemeinsam auszuarbeiten, damit sie in Form und Inhalt die kulturelle Identität der Gemeinschaften Amazoniens bewahren und sich zugleich am Leitfaden einer ganzheitlichen Ökologie orientieren.

c. Herausforderungen für Gesundheitsdienste, Bildung und Kommunikation

58.               Die Kirche hält es für eine wichtige Aufgabe, Bildungsmaßnahmen in Fragen der Gesundheitsvorsorge dort zu ergreifen und gesundheitliche Dienstleistungen dort anzubieten, wo die staatliche Gesundheitsversorgung nicht greift. Wir müssen Initiativen ergreifen, die verschiedenen Dienste aufeinander abzustimmen, um die Gesundheitssituation der Bevölkerung Amazoniens zu verbessern. Darüber hinaus ist es wichtig, das in der jeweiligen Kultur vorhandene Wissen der Vorfahren im Bereich der traditionellen Medizin allgemein zugänglich zu machen.

59.               Zu den komplexen Problemen Amazoniens gehört auch die Unzulänglichkeit der Bildung, besonders unter den indigenen Völkern. Obwohl Bildung als Menschenrecht gilt, ist sie nicht qualifiziert und Schulabbruch nicht selten, vor allem bei Mädchen. Bildung evangelisiert, fördert die Transformation der Gesellschaft und stattet Menschen mit einer gesunden, kritischen Einstellung aus. „Eine gute schulische Erziehung in jungen Jahren sät etwas aus, das ein Leben lang Auswirkungen haben kann.“ (LS 213). Es ist unsere Aufgabe, zu einer Solidarität heranzubilden, die aus dem Bewusstsein eines gemeinsamen Ursprungs und einer von allen geteilten Zukunft erwächst (vgl. LS 202). Die Regierungen müssen dazu verpflichtet werden, ein öffentliches, interkulturelles und bilinguales Bildungssystem einzurichten.

60.               Die immer stärker globalisierte und komplexer gewordene Welt hat ein bisher nicht gekanntes Informationsnetz geschaffen. Der ständige rasante Informationsfluss bewirkt jedoch keine bessere Kommunikation oder Verständigung unter den Völkern. In Amazonien wollen wir eine Kommunikationskultur anstreben, die den Dialog, die Kultur der Begegnung und die Sorge um das „Gemeinsame Haus“ favorisiert. Von einer ganzheitlichen Ökologie geleitet, wollen wir die in der Region bereits existierenden Kommunikationsräume weiterentwickeln, um die ganzheitliche, ökologische Umkehr schnell voranzubringen. Dafür ist es notwendig, einheimische Verantwortliche für Kommunikation auszubilden, besonders unter den Indigenen. Sie sind nicht nur die privilegierten Gesprächspartner für Evangelisierung und menschliche Entwicklung im Territorium, sondern helfen uns auch, die Kultur des „Guten Lebens“ (Buen Vivir) und die Sorge um die Schöpfung zu verbreiten.

61.               Um die verschiedenen Verbindungen mit ganz Amazonien weiterzuentwickeln und die Kommunikation zu verbessern, will die Kirche ein panamazonisches, kirchliches Kommunikationsnetz schaffen, das auf den verschiedenen, von den Ortskirchen und von anderen kirchlichen Einrichtungen bereits genutzten Medien aufbaut. Es könnte verstärkend wirken und behilflich sein bei der ökologischen Umkehr der Kirche und des Planeten. Bei der Ausbildung, Weiterbildung und dem Ausbau von Kommunikation in ganz Amazonien kann REPAM beratend tätig sein und Hilfestellung leisten.

Neue Wege für eine kulturelle Umkehr

62. In diesem Sinne schlagen wir vor, ein Netz von bilingualen Schulen für Amazonien zu schaffen (ähnlich wie Fe y Alegría), durch das man Ausbildungsideen miteinander austauschen könnte, die den Bedürfnissen der Gemeinschaften entsprechen, aber auch ihre kulturelle und sprachliche Identität respektieren, wertschätzen und einbeziehen.

63. Die in den kirchlichen Jurisdiktionsbezirken Amazoniens bereits vorhandenen Erfahrungen in interkultureller und bilingualer Bildung wollen wir erhalten, stützen und verbreiten, aber auch die katholischen Universitäten ansprechen, damit sie sich an diesem Netzwerk beteiligen.

64. Wir wollen neue Formen konventioneller und nicht-konventioneller Bildung einsetzen, zum Beispiel das Fernstudium, je nachdem, was Menschen, Orte und Zeiten jeweils benötigen.

Kapitel 4

Neue Wege ökologischer Umkehr

„Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben.“

(Joh 10,10)

65.  Unser Planet ist ein Geschenk Gottes, aber wir wissen auch, wie dringlich wir angesichts einer beispiellosen gesellschaftlich-ökologischen Krise handeln müssen. Wir bedürfen einer ökologischen Umkehr, um angemessen darauf zu reagieren. Deshalb machen wir uns, inspiriert von der Vorstellung einer ganzheitlichen Ökologie, als Kirche Amazoniens auf den Weg, um der zunehmenden Aggression gegen unser Biom, dessen drohendes Verschwinden enorme Konsequenzen für unseren ganzen Planeten hat, entgegenzutreten. Wir nehmen die von Menschen verursachten Wunden in unserem Gebiet wahr; wir wollen in einem Dialog mit dem Wissen unserer Brüder und Schwestern aus den ursprünglichen Völkern neue Antworten finden auf der Suche nach gerechten und solidarischen Entwicklungsmodellen. Wir wollen unser „Gemeinsames Haus“ in Amazonien schützen und suchen dafür nach neuen Wegen.

Unterwegs zu einer ganzheitlichen Ökologie auf der Basis der Enzyklika Laudato si’

a. Bedrohungen des Amazonien-Bioms und seiner Völker

66.  Gott hat uns die Erde als Gabe und als Aufgabe anvertraut, um sie zu hüten und Verantwortung für sie zu übernehmen; wir sind nicht ihre Besitzer. Ganzheitliche Ökologie hat ihre Grundlage in der Tatsache, dass „alles miteinander verbunden ist“ (LS 16). Deshalb gehören Ökologie und soziale Gerechtigkeit engstens zusammen (vgl. LS 137). Mit der Ganzheitlichen Ökologie entsteht ein neues Paradigma von Gerechtigkeit, insofern „ein wirklich ökologischer Ansatz sich immer in einen sozialen Ansatz verwandelt, der die Gerechtigkeit in die Umweltdiskussionen aufnehmen muss, um die Klage der Armen ebenso zu hören wie die Klage der Erde“ (LS 49). Ganzheitliche Ökologie verbindet also den Schutz der Natur mit der Sorge um Gerechtigkeit für die Ärmsten und Benachteiligten der Erde, die ja in der Geschichte der Offenbarung die Privilegierten Gottes sind.

67.  Wir müssen uns dringend der schrankenlosen Ausbeutung des „Gemeinsamen Hauses“ und aller Menschen, die es bewohnen, in den Weg stellen. Einer der Hauptgründe für die Zerstörung Amazoniens ist der raubgierige Extraktivismus. Er folgt einer Logik der Gier, die typisch ist für das vorherrschende technokratische Paradigma (LS 101). Angesichts der Notlage des Planeten und des Amazonasgebietes ist die ganzheitliche Ökologie nicht einer von vielen Wegen, den die Kirche in dieser Hinsicht für die Zukunft wählen kann, sondern sie ist der einzig mögliche Weg. Einen anderen Weg zur Rettung der Region gibt es nicht. Die Plünderung des Gebietes geht einher mit dem Blutvergießen Unschuldiger und der Kriminalisierung derer, die Amazonien verteidigen.

68.  Die Kirche ist Teil einer internationalen Solidaritätsbewegung, welche die zentrale Rolle des amazonischen Bioms für ein ausgewogenes Klima des Planeten unterstützen und fördern muss. Sie motiviert die internationale Gemeinschaft dazu, zusätzliche ökonomische Ressourcen bereitzustellen, um das Biom zu schützen sowie das Modell einer gerechten, solidarischen Entwicklung voranzubringen, bei dem die örtlichen Gemeinschaften und ursprünglichen Völker aktiv die Führungsrolle übernehmen, und zwar in allen Phasen von der Planung bis zur Durchführung. Auf diese Weise werden zugleich die bereits in der Rahmenkonvention zum Klimawandel entwickelten Instrumente aktiviert.

69.  Es ist ein Skandal, dass Führungskräfte und sogar Gemeinschaften nur deswegen kriminalisiert werden, weil sie die ihnen zustehenden Rechte einfordern. In allen Ländern Amazoniens gibt es Gesetze, durch welche die Menschenrechte, insbesondere jene der indigenen Völker, anerkannt werden. In den letzten Jahren hat die (amazonische) Region komplexe Transformationen erfahren. Die Menschenrechte von Gemeinschaften wurden durch Normen, öffentliche Politiken und Praktiken beeinträchtigt, die sich vorrangig darauf konzentrierten, die dem Extraktivismus von natürlichen Ressourcen auferlegten Grenzen auszuweiten und Megaprojekte von Infrastrukturen zu entwickeln. Damit übte man großen Druck auf die seit jeher angestammten indigenen Territorien aus. Der Bericht der interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH/OEA) bestätigt sogar, dass in der Region Menschenrechtsverletzungen straflos bleiben und Gerichtsprozesse behindert werden (Interamerikanische Kommission für Menschenrechte: Indigene Völker und Stämme in Panamazonien, Nr. 5. und Nr. 188., September 2019; Orig.: CIDH/OEA: Pueblos indígenas y tribales de la Panamazonía, September 2019).

70.  Für Christen ist das Interesse und die Sorge für die Förderung bzw. Respektierung der individuellen und kollektiven Menschenrechte nicht optional. Der Mensch ist nach dem Ebenbild des Schöpfergottes geschaffen und seine Würde ist unantastbar. Deshalb ist die Verteidigung und Förderung der Menschenrechte nicht nur eine politische Pflicht oder eine gesellschaftliche Aufgabe, sondern auch und vor allem Gebot des Glaubens. Vielleicht können wir das vorherrschende destruktive Entwicklungsmodell des Extraktivismus nicht sofort ändern, aber wir müssen wissen und klar machen, wo wir stehen, an wessen Seite wir stehen, welche Perspektive wir einnehmen, wie wir die politische und ethische Dimension dessen, was wir zum Glauben und Leben sagen, bezeugen. Aus diesem Grunde werden wir

a)   die Verletzung von Menschenrechten und die extraktivistische Zer-störung anprangern;

b)  Kampagnen zur Veräußerung von Rohstoffunternehmen, die mit den sozio-ökologischen Schäden im Amazonasgebiet zu tun haben, betreiben und unterstützen, angefangen bei den kircheneigenen Institutionen und auch im Bündnis mit anderen Kirchen;

c)   zu einer radikalen Energiewende und zur Suche nach Alternativenaufrufen: „Die Zivilisation braucht Energie, aber der Gebrauch von Energie darf die Zivilisation nicht zerstören!“ (Papst Franziskus, Ansprache an die Vorstände führender Erdöl- und Erdgaskonzerne sowie anderer im Energiesektor tätiger Unternehmen, 9.  Juni 2018). Wir schlagen vor, Schulungsprogramme für die Sorge um das „Gemeinsame Haus“ zu entwickeln, die für pastorale Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und andere Gläubige bestimmt sein sollen, aber auch für die ganze Gemeinschaft offen sind, damit sie alle „sich um eine Sensibilisierung der Bevölkerung [...] bemühen.“ (LS 214).

b. Die Herausforderung neuer fairer, solidarischer und nachhaltiger Entwicklungsmodelle

71.      Wir stellen fest, dass der Umgang des Menschen [mit der Natur] seinen „freundschaftlichen“ Charakter verloren hat. Er hat einer Einstellung Platz gemacht, die unersättlich und raubgierig dazu neigt, die Natur bis zur Erschöpfung aller zur Verfügung stehenden natürlichen Ressourcen auszuquetschen. "Das technokratische Paradigma tendiert dazu, die Wirtschaft und Politik zu beherrschen" (LS 109). Um dem, was dem Leben ernsthaften Schaden zufügt, entgegenzuwirken, müssen wir auf einer festen spirituellen Grundlage nach alternativen Wirtschaftsmodellen Ausschau halten, die nachhaltig und naturverträglich sind. Deshalb fordern wir zusammen mit den Völkern Amazoniens die Staaten auf, das Amazonasgebiet nicht mehr als ein unerschöpfliches Vorratslager zu betrachten (vgl. Franziskus in Puerto Maldonado, Jan. 2018). Die Staaten sollen eine Investitionspolitik betreiben, die jede Intervention danach beurteilt, ob sie hohe soziale und ökologische Standards sowie das Grundprinzip, Amazonien zu schützen, respektiert. Dazu müssen sie die Mitwirkung der organisierten indigenen Völker, der anderen amazonischen Gemeinschaften und der verschiedenen wissenschaftlichen Institutionen einplanen, die bereits Modelle zur Waldnutzung vorgeschlagen haben. Das neue Paradigma nachhaltiger Entwicklung muss sozial inklusiv sein sowie wissenschaftliche und traditionelle Kenntnisse miteinander kombinieren, um einerseits die Entscheidungsgewalt der traditionellen indigenen Gemeinschaften, insbesondere der Frauen, zu respektieren und andererseits darauf hinzuwirken, dass die angewandten Technologien dem Wohl und Schutz der Wälder dienen.

72.      Es geht also darum, den Wert zu erfassen, den jegliche wirtschaftliche bzw. extraktive Tätigkeit tatsächlich hat, das heißt, den Wert, den sie der Erde bzw. der Gesellschaft hinzufügt bzw. zurückgibt, aber unter Berücksichtigung der Reichtümer, die ihnen mit den entsprechenden sozial-ökologischen Konsequenzen entzogen werden. Viele extraktive Aktivitäten, wie der um sich greifende, insbesondere illegale Bergbau, beeinträchtigen den Wert des Lebens in Amazonien erheblich. In der Tat berauben sie die Völker ihres Lebens und die Erde der gemeinsamen Güter, um die wirtschaftliche und politische Macht in den Händen weniger zu konzentrieren. Schlimmer noch, viele dieser destruktiven Projekte werden im Namen des Fortschritts durchgeführt und von lokalen, nationalen bzw. ausländischen Regierungen unterstützt - oder zugelassen.

73.      Gemeinsam mit den Völkern Amazoniens (vgl. LS 183) und ihrer Vision vom „Guten Leben“ rufen wir zu einer individuellen und gesellschaftlichen ökologischen Umkehr auf, die sich an der ganzheitlichen Ökologie orientiert und ein Entwicklungsmodell wahrt, in dem Umweltkriterien und Menschenrechten Vorrang vor Handelskriterien haben. Wir wollen eintreten für eine Kultur des Friedens und des Respekts – statt der Gewalt und des Missbrauchs - und für eine Wirtschaft, deren Mitte der Mensch ist, welcher die Natur bewahrt. Daher schlagen wir vor, zusammen mit den Gemeinschaften Alternativen für eine ganzheitliche ökologische Entwicklung zu schaffen, und zwar auf der Basis ihres Weltverständnisses, das von der Weisheit ihrer Ahnen durchdrungen ist. Wir unterstützen Projekte, die eine solidarische, nachhaltige, zirkuläre und ökologische Wirtschaft entwerfen, und zwar auf lokaler und internationaler Ebene, in Forschung und praktischem Tun, im formellen und informellen Sektor. In diesem Sinne wäre es zweckmäßig, für Bioproduktion, Waldreservate und nachhaltigen Konsum die Erfahrungen von Genossenschaften zu ermöglichen und voranzubringen. Die Zukunft Amazoniens liegt in unseren Händen, aber es kommt vor allem darauf an, sich sofort vom heutigen Modell zu verabschieden, weil es den Wald zerstört, kein gutes Leben für alle schafft sowie diesen unermesslichen Schatz der Natur und seine Hüter gefährdet.

Eine Kirche, die das „Gemeinsame Haus“ in Amazonien schützt

a. Die sozial-ökologische Dimension der Evangelisierung

74.               Wir alle sollen Gottes Werk hüten. Die Protagonisten für den Schutz und die Verteidigung der Rechte der Völker sowie der Natur sind in dieser Region die Gemeinschaften Amazoniens selbst. Sie selbst bestimmen über ihr Geschick und ihre Sendung. In einem solchen Szenario hat die Kirche die Rolle einer Bündnispartnerin zu übernehmen. Die Gemeinschaften haben deutlich den Wunsch geäußert, dass die Kirche ihnen beisteht, zusammen mit ihnen auf dem Weg ist, aber ihnen keine bestimmte Lebensart, keine bestimmte Art der Entwicklung abverlangt, die mit ihren Kulturen, Traditionen und Spiritualitäten wenig zu tun hat. Sie wissen, wie man Amazonien erhält, liebt und beschützt. Dabei soll die Kirche sie unterstützen.

75.               Die Kirche hat die Aufgabe, sich für diese Unterstützung und Anteilnahme immer besser zu rüsten. So fördern wir eine Weiterbildung, die auf der Basis eines ganzheitlichen Verständnisses die eigenständige Ethik und Spiritualität der Menschen würdigt. In erster Linie muss sich die Kirche den Gemeinschaften widmen, die von sozialökologischen Schäden betroffen sind. Damit greift sie die Tradition der lateinamerikanischen Kirche wieder auf, in der Persönlichkeiten wie San José de Anchieta, Bartolomé de Las Casas, die paraguayischen Märtyrer, die Heiligen Roque González, Alfonso Rodriguez und Juan del Castillo, ermordet in Rio Grande do Sul (Brasilien), und viele andere uns gelehrt haben, dass der Schutz der ursprünglichen Völker auf diesem Kontinent aufs Engste mit dem Glauben an Jesus Christus und seiner Frohen Botschaft verbunden ist. Heute müssen wir die in der Pastoral Tätigen und die geweihten Amtsträger sozial-ökologisch sensibilisieren. Wir wollen eine Kirche sein, die auf den Flüssen landeinwärts navigiert und ihrer Tätigkeit in Amazonien nachkommt, indem sie ihr Leben im Einklang mit dem Territorium und zugleich im Einklang mit dem gestaltet, was die dort lebenden Menschen unter „buen vivir“ verstehen.

76.               Die Kirche erkennt an, welche Weisheit die Völker Amazoniens zur Artenvielfalt besitzen, eine traditionelle Weisheit, die als lebendiger, stets fortwährender Prozess verstanden wird. Biopiraterie ist Diebstahl dieses Wissens, eine Form von Gewalt gegen diese Bevölkerungsgruppen. Die Kirche muss den Völkern dabei helfen, ihr Wissen, dessen Weiterentwicklungen und Praktiken zu bewahren und beizubehalten, im Respekt vor der Souveränität der Länder und jener Gesetze, die den Zugang zu den genetischen Ressourcen und dem damit verbundenen traditionellen Wissen regeln. Soweit wie möglich sollte sie diesen Bevölkerungsgruppen helfen, die aus der Nutzung der Kenntnisse, Innovationen und Praktiken erzielten Gewinne so zu verteilen, dass sie ein nachhaltiges, inklusives Entwicklungsmodell garantieren.

77.               Dringend erforderlich ist es, eine Energiepolitik zu entwickeln, welche die Emission von Kohlendioxid (CO2) und anderen Gasen, die den Klimawandel verursachen, drastisch senkt. Neue saubere Energien können der Gesundheit dienlich sein. Alle Unternehmen müssen Überwachungssysteme für ihre Lieferketten einrichten, um sicherzustellen, dass die Produktion, die sie kaufen, produzieren oder verkaufen, sozial und ökologisch gestaltet wird. Darüber hinaus ist

„der Zugang zu sicherem Trinkwasser ein grundlegendes, fundamentales und allgemeines Menschenrecht, weil es für das Überleben der Menschen ausschlaggebend und daher die Bedingung für die Ausübung der anderen Menschenrechte ist.“ (LS 30). Dieses Recht ist von den Vereinten Nationen (2010) anerkannt. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, dass im Territorium das Grundrecht auf Zugang zu sauberem Wasser respektiert wird.

78.               Die Kirche trifft eine Option für den Schutz des Lebens, des Landes und der ursprünglichen Kulturen Amazoniens. Das sollte auch bedeuten, den Völkern Amazoniens bei der Registrierung, Systematisierung und Verbreitung von Daten sowie Informationen über die Territorien und deren rechtlichen Status behilflich zu sein. Mit besonderem Nachdruck wollen wir zusammen mit den indigenen Völker in freiwilliger Isolation (PIAV = Pueblos Indígenas en Aislamiento Voluntario) bzw. den indigenen Völker in Isolation und mit anfänglichen Kontakten (PIACI = Pueblos Indígenas en Aislamiento y Contacto Inicial) für die Demarkierung ihrer Gebiete eintreten. Wir motivieren die Staaten, ihren verfassungsrechtlichen Verpflichtungen in diesen Anliegen, einschließlich des Rechts auf Zugang zu Wasser, nachzukommen.

79.               Die Soziallehre der Kirche, die sich seit langem mit dem ökologischen Problem befasst, verfügt durch den ständigen Dialog mit dem traditionellen Wissen und der Weisheit der Völker Amazoniens heute über ein reichhaltigeres Verständnis für die Beziehung zwischen den Völkern und ihren Territorien. Sie anerkennt zum Beispiel die Art und Weise, in der indigene Völker mit ihren Territorien leben und sie schützen, als unverzichtbare Referenz für unsere Umkehr zu einer ganzheitlichen Ökologie. In diesem Licht wollen wir neue Dienstämter für die Sorge um das „Gemeinsame Haus“ in Amazonien schaffen, deren Aufgabe darin besteht, gemeinsam mit den indigenen Gemeinden das Territorium und die Gewässer zu schützen. Es soll aber auch ein Dienstamt für die Aufnahme derjenigen eingerichtet werden, die aus ihren Gebieten in die Städte vertrieben wurden.

b. Eine arme Kirche zusammen mit den Armen und für die Armen in den verwundbaren Peripherien

80.  Wir bekräftigen unsere Verpflichtung, die Würde aller Menschen und das gesamte Leben von der Empfängnis bis zum Tod zu schützen. Die Kirche stand und steht an der Seite der indigenen Gemeinschaften, um ihr Recht auf ein ungestörtes, eigenes Leben zu wahren und dabei die Werte ihrer Traditionen, Bräuche und Kulturen sowie die Bewahrung von Flüssen und Wäldern zu respektieren, die als Quellen von Leben und Weisheit heilige Orte sind. Wir unterstützen die Vielen, die dafür eintreten, mutig das Leben in all seinen Formen und Entwicklungsstufen zu schützen. Unser pastoraler Dienst ist Mitarbeit an der Fülle des Lebens der indigenen Völker.  Dieser Dienst verpflichtet uns dazu, Jesus Christus und die Frohe Botschaft vom Reich Gottes zu verkünden, damit sündhafte Situationen, Strukturen von Tod, Gewalt sowie von internem und externem Unrecht überwunden, aber interkultureller, interreligiöser und ökumenischer Dialog vorangebracht werden.

Neue Wege zur Förderung ganzheitlicher Ökologie

a. Prophetischer Einspruch und Botschaft der Hoffnung für die ganze Kirche und alle Welt

81.               Das Leben Amazoniens und die dortigen Völker zu schützen, erfordert eine tiefgreifende persönliche, gesellschaftliche und strukturelle Umkehr. Auch die Kirche ist von diesem Umkehrruf betroffen; sie soll verlernen, lernen und neu lernen, damit sie jegliche Tendenz zu kolonialistischen Mustern, die in der Vergangenheit Schaden angerichtet haben, hinter sich lassen kann. In diesem Sinne müssen wir uns der Macht des Neokolonialismus bewusst werden, die unsere alltäglichen Entscheidungen und das herrschende Entwicklungsmodell durchdringt. Diese Macht wirkt sich aus, wenn die Landwirtschaft sich immer mehr der Monokultur verschreibt, in der Art, wie unser Transportwesen organisiert ist, wie in der Gesellschaft die Vorstellung von Wohlstand durch den Konsum beherrscht wird, der wiederum direkte und indirekte Folgen für Amazonien nach sich zieht. Angesichts solch globaler Lebensbedingungen, aber auch angeregt durch die Stimmen der Schwesterkirchen, wollen wir uns eine Spiritualität ganzheitlicher Ökologie zu Eigen machen, damit wir die Sorge für die Schöpfung forcieren. Um dies zu erreichen, müssen wir eine weitaus partizipativere und inklusivere Gemeinschaft von missionarischen Jüngern und Jüngerinnen werden.

82.               Wir schlagen vor, ökologische Sünde zu definieren als eine Handlung bzw. Unterlassung, die sich gegen Gott, gegen die Mitmenschen, gegen die Gemeinschaft und gegen die Umwelt richtet. Sie ist eine Sünde gegen zukünftige Generationen. Sie wird erkennbar in Handlungen und Verhaltensweisen, welche das harmonische Zusammenspiel der Umwelt vergiften und zerstören, die Prinzipien der wechselseitigen Abhängigkeit aller Geschöpfe verletzen, die Netze der Solidarität zwischen ihnen zerreißen (vgl. Katechismus der Katholischen Kirche, Nr. 340-344) und die Kardinaltugend der Gerechtigkeit missachten. Wir schlagen auch vor, zur Sorge für das „Gemeinsame Haus“ und für die Förderung ganzheitlicher Ökologie auf Gemeindeebene und in allen kirchlichen Jurisdiktionsbereichen spezielle Dienstämter einzurichten, deren Aufgabe unter anderem darin besteht, für den Schutz des Territoriums und der Gewässer zu sorgen, sowie die Enzyklika Laudato si’ zu verbreiten. Das Pastoral-, Bildungs- und Aktionsprogramm, das die Kapitel V und VI der Enzyklika Laudato si’ beschreiben, ist auf allen Ebenen und in allen Strukturen der Kirche zu praktizieren.

83.               Um die ökologischen Schulden der Länder gegenüber Amazonien zu tilgen, schlagen wir vor, einen Welt-Fonds einzurichten, aus dem ein Teil des Haushalts der in Amazonien lebenden Gemeinschaften finanziert wird, weil sie für die ganzheitliche und selbsttragende Entwicklung sorgen. Zugleich werden sie damit vor der Gier geschützt, mit der nationale und multinationale Unternehmen die natürlichen Ressourcen zu extrahieren trachten.

84.               Wir haben verantwortungsbewusste Verhaltensweisen einzuüben, welche die Völker Amazoniens, ihre Traditionen und Weisheit respektieren und wertschätzen, indem wir die Erde schützen und unsere Kultur des exzessiven Konsums und der Abfallproduktion durch Wiederverwendung und Recycling ändern. Wir müssen unsere Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen und die Verwendung von Kunststoffen verringern sowie unsere Essgewohnheiten (übermäßiger Verzehr von Fleisch und Fisch / Schalentieren) durch einen einfacheren Lebensstil ersetzen. Wir müssen uns aktiv für das Pflanzen von Bäumen einsetzen und nach zukunftsfähigen Alternativen für Landwirtschaft, Energie und Mobilität Ausschau halten, welche die Rechte von Menschen und Natur respektieren. Die Ausbildung in ganzheitlicher Ökologie ist auf allen Ebenen voranzutreiben; neue Wirtschaftsmodelle und Initiativen, die eine nachhaltige Lebensqualität fördern, sind zu entwickeln.

b. Observatorium für Sozialpastoral in Amazonien

85.  Eine Informationsstelle für sozial-ökologische Pastoral ist einzurichten, die den Einsatz für den Schutz des Lebens unterstützt. Eine Diagnose des jeweiligen Gebietes und der in ihm anzutreffenden sozial-ökologischen Konflikte ist in jeder Ortskirche und kirchlichen Region zu erarbeiten, um Position beziehen, Entscheidungen treffen und die Rechte der Verwundbarsten schützen zu können. Die Informationsstelle sollte in Absprache mit CELAM, CLAR, Caritas, REPAM, den nationalen Bischofskonferenzen, den Ortskirchen, den katholischen Universitäten, der Interamerikanischen Menschenrechtskommission (CIDH), mit anderen nichtkirchlichen Akteuren auf dem Kontinent und mit Vertreterinnen und Vertretern der indigenen Völker tätig werden. Wir bitten auch darum, dass man im vatikanischen Dikasterium „Für den Dienst zugunsten der ganzheitlichen Entwicklung des Menschen“ ein Büro für Amazonien einrichtet, das mit dieser Informationsstelle und weiteren lokalen Institutionen Amazoniens in Verbindung steht.

Kapitel 5

Neue Wege synodaler Umkehr

„Ich in ihnen und du in mir.

So sollen sie vollendet sein in der Einheit.“

(Joh 17,23)

86.  Um gemeinsam auf dem Weg zu sein, braucht die Kirche in Amazonien eine synodale Umkehr, eine Umkehr zur Synodalität des Volkes Gottes unter der Führung des Heiligen Geistes. In diesem Umfeld von Gemeinschaft und Teilhabe suchen wir neue Wege für die Kirche, vor allem hinsichtlich der Sakramentalität und der Amtsstruktur einer Kirche mit dem Antlitz Amazoniens. Ordensleute und Laien, unter ihnen vor allem die Frauen, verlangen von uns seit langem und stets von neuem eine solche Umkehr.

Missionarische Synodalität in der Kirche Amazoniens

a. Die missionarische Synodalität des gesamten Volkes Gottes unter der Führung des Heiligen Geistes

87.               „Synode“ ist ein altes, von der Tradition geschätztes Wort. Es weist darauf hin, dass die Mitglieder des Volkes Gottes gemeinsam auf dem Weg sind. Es verweist auf Jesus, den Herrn, der sich als

„Weg, Wahrheit und Leben“ erweist (Joh 14,6), und macht darauf aufmerksam, dass die Christen, all jene, die ihm nachfolgen, „die Anhänger des Weges“ genannt werden (Apg 9,2). Synodal zu sein, bedeutet, gemeinsam „dem Weg des Herrn“ zu folgen (Apg 18,25). Synodalität ist die Art und Weise, wie die Urgemeinde Kirche ist (vgl. Apg 15). Sie muss folglich auch unsere Art des Kircheseins bestimmen. „Wie der Leib einer ist, doch viele Glieder hat, alle Glieder des Leibes aber, obgleich es viele sind, einen einzigen Leib bilden: So ist es auch mit Christus“ (1 Kor 12,12). Synodalität kennzeichnet auch die Kirche des Zweiten Vatikanischen Konzils; sie versteht sich als Volk Gottes, in dem alle die gleiche Würde besitzen, aber unterschieden sind durch eine Vielfalt von Ämtern, Charismen und Diensten. Synodalität „deutet [...] auf den spezifischen modus vivendi et operandi der Kirche als Gottesvolk, das seine Existenz als Gemeinschaft und Weggemeinschaft manifestiert und konkretisiert, indem es in der Versammlung zusammenkommt und indem alle seine Mitglieder aktiv an seinem Auftrag der Evangelisierung teilnehmen“ [...], das heißt: durch „die Beteiligung des ganzen Gottesvolkes am Leben und an der Sendung der Kirche“ (ITK, Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche, Nr. 6-7).

88.               Um gemeinsam auf dem Weg zu sein, braucht die Kirche heute eine Umkehr zu synodaler Erfahrung. Es muss eine Kultur des Dialogs, des gegenseitigen Aufeinanderhörens, der geistlichen Unterscheidung, von Konsens und Gemeinschaft entwickelt werden, um Mittel und Wege für gemeinsame Entscheidungen zu finden und pastoralen Herausforderungen zu begegnen. Auf diese Weise entsteht Mitverantwortlichkeit im Geiste gegenseitigen Dienstes im Leben der Kirche. Es wird höchste Zeit, sich auf diesen Weg zu begeben, Verantwortlichkeiten vorzuschlagen und zu übernehmen, um Klerikalismus und willkürliche Anweisungen zu beenden. Synodalität ist eine verfassungsmäßige Dimension der Kirche. Wir können nur dann Kirche sein, wenn wir darauf achthaben, dass das gesamte Volk Gottes den sensus fidei wirksam ausüben kann.

b. Spiritualität synodaler Gemeinschaft unter der Führung des Heiligen Geistes

89.      Die Kirche lebt aus der Gemeinschaft als Leib Christi durch die Gabe des Heiligen Geistes. Das sogenannte „Apostelkonzil von Jerusalem“ (vgl. Apg 15; Gal 2,1-10) ist ein synodales Ereignis, bei dem die apostolische Kirche an einer entscheidenden Wegkreuzung im Lichte der Gegenwart des auferstandenen Herrn ihrer Berufung zu ihrer eigenen Sendung folgt. Dieses Ereignis wurde zur paradigmatischen Gestalt für die Berufung der Kirche zur Synodalität und für ihre Synoden. Die Entscheidung, welche die Apostel unter Anteilnahme der gesamten Gemeinde von Jerusalem trafen, war ein Werk des Heiligen Geistes, der den Weg der Kirche bestimmt und ihre Treue zum Evangelium Jesu gewährleistet: „der Heilige Geist und wir haben beschlossen“ (Apg 15,28). Die gesamte Gemeindeversammlung nahm die Entscheidung entgegen und machte sie sich zu Eigen (Apg 15,22). Später geschah in der Gemeinde von Antiochia dasselbe (Apg 15, 3031). Wirklich „Synodal“-Sein bedeutet: angeregt vom Heiligen Geist, dem Lebensspender, in Harmonie voranschreiten.

90.      Die Kirche in Amazonien ist dazu berufen, sich in kritischer Überprüfung, dem Dreh- und Angelpunkt synodaler Prozesse und Ereignisse, zu üben und so voranzuschreiten. Mit Hilfe einer theologischen Deutung der Zeichen der Zeit unter der Leitung des Heiligen Geistes soll sie den Weg, dem es im Dienst am Willen Gottes zu folgen gilt, bestimmen und gehen. Die gemeinschaftliche Überprüfung hilft den Ruf wahrzunehmen, den Gott in jeder historischen Lage vernehmen lässt. Diese Versammlung ist ein Moment der Gnade, um zum Wohl des Volkes Gottes in der Region Amazoniens das gegenseitige Aufeinanderhören, den echten Dialog und die gemeinsame Unterscheidung der Geister zu praktizieren. Und in der Phase des Handelns schließlich sollen die getroffenen Entscheidungen angeregt vom Heiligen Geist den kleinen Gemeinden, den Pfarreien, den Diözesen, Vikariaten und den „Prälaturen“ sowie der gesamten Region den Weg weisen.

c. Unterwegs zu einem synodalen Lebens- und Arbeitsstil im Amazonasgebiet

91. Mit evangeliumsgemäßem Wagemut wollen wir neue Wege für das Leben der Kirche und für ihren Dienst an einer ganzheitlichen Ökologie in Amazonien beschreiten. Die Synodalität bestimmt in den Ortskirchen den Lebensstil von Gemeinschaft und Teilhabe, der erkennbar wird am Respekt vor der Würde und Gleichheit aller getauften Frauen und Männer, am wechselseitigen Zusammenspiel von Charismen und Ämtern, an der Freude, sich in Versammlungen zu treffen, um gemeinsam die Stimme des Heiligen Geistes von anderen Stimmen zu unterscheiden. Diese Synode bietet uns die Chance, darüber nachzudenken, wie wir die Ortsgemeinden in jeder Region und in jedem Land entsprechend strukturieren, damit wir in der synodalen Umkehr vorankommen, die uns die gemeinsamen Pfade bei der Evangelisierung aufzeigen soll. Die Logik der Inkarnation lehrt uns, dass Gott sich in Christus an die Menschen bindet, die in „je eigenen Kulturen der Völker“ (AG 9) leben und dass die Kirche, als Volk Gottes unter allen Völkern, die Schönheit eines vielgestaltigen Angesichts trägt, weil sie in vielen verschiedenen Kulturen verwurzelt ist (EG 116). Dies geschieht durch das Leben und die Sendung der Ortskirchen, die in jedem „soziokulturellen Großraum“ (AG 22,2) Fuß gefasst haben.

92. Eine Kirche mit amazonischem Antlitz braucht Gemeinschaften, die von synodalem Geist erfüllt sind und als authentische Organe der „Kommunion“ durch Organisationsstrukturen, die dieser Dynamik entsprechen, gestützt werden. Die Formen der Ausübung von Synodalität sind vielfältig, sie müssen auf den verschiedenen Ebenen (der Diözese, der Region, der Nation und der Weltkirche) dezentral organisiert werden, respektvoll und aufmerksam hinsichtlich lokaler Prozesse, aber ohne die Verbundenheit mit den anderen Schwesterkirchen und mit der Weltkirche zu schwächen. Die Organisationsformen zur praktischen Verwirklichung von Synodalität können ebenfalls variieren; sie werden Kommunion und Partizipation, Mitverantwortung und Dienstämter aller in Einklang bringen und dabei besonders beachten, dass Laien, zumal Frauen, an der kritischen Überprüfung und Entscheidungsfindung aktiv beteiligt werden.

Neue Strukturen für die Dienstämter der Kirche

a. Amtskirchliche Struktur und neue Dienstämter

93.               Die Erneuerung durch das Zweite Vatikanische Konzil rückt die Laien in die Mitte des Volkes Gottes, in einer Kirche, die als solche ministerialen Charakter hat. Das Sakrament der Taufe begründet Identität und Sendung eines jeden Christen. Die Laien sind also „die

Christgläubigen, die, als durch die Taufe Christus Einverleibte zum Volk Gottes eingesetzt und des priesterlichen, prophetischen und königlichen Amtes Christi auf ihre Weise teilhaftig geworden, entsprechend ihrem Anteil die Sendung des ganzen christlichen Volkes in der Kirche und in der Welt ausüben.“ (LG 31,1). Aus dieser dreifachen Beziehung zu Christus, zur Kirche und zur Welt entsteht die Berufung und Sendung der Laien. Die Kirche Amazoniens will im Hinblick auf eine gerechte, solidarische Gesellschaft in der Sorge für das

„Gemeinsame Haus“ die Laien zu privilegierten Akteuren machen. Ihr Wirken war und ist von entscheidender Bedeutung, sei es bei der Koordinierung der kirchlichen Gemeinschaften, in der Wahrnehmung von Dienstämtern oder auch beim prophetischen Engagement für eine Welt, in der alle Platz haben. Die Märtyrer unter ihnen legen davon ein Zeugnis ab, das uns in Frage stellt.

94.               Als Instrumente der Mitverantwortung aller Getauften in der Kirche und der Ausübung des Glaubenssinnes des gesamten Volkes Gottes („sensus fidei“) entstanden in allen Bereichen der Kirche Pastoralversammlungen und Pastoralräte ebenso wie Koordinierungsteams für die verschiedenen pastoralen Dienste und Ämter, die den Laien übertragen waren. Wir sehen ein, dass  die Räume für die Beteiligung der Laien an Leben und Sendung der Kirche, in Beratungs- und Entscheidungsprozessen auszubauen und zu erweitern sind.

95.               Obwohl die Mission in der Welt jedem getauften Menschen aufgegeben ist, hat das Zweite Vatikanische Konzil die Mission der Laien besonders hervorgehoben: „die Erwartung der neuen Erde [darf] die Sorge für die Ausgestaltung dieser Erde nicht abschwächen, sondern muss sie vielmehr erwecken.“ (GS 39,2). Die Kirche in Amazonien muss darauf dringen, dass Männern und Frauen gleichermaßen Dienstämter übertragen werden. Das ortskirchliche Netzwerk wird auch in Amazonien durch die kleinen missionarischen kirchlichen Gemeinschaften getragen, die einander im Glauben stärken, gemeinsam auf das Wort Gottes hören und in nächster Nähe zum Leben der Menschen Gottesdienst feiern. Dies ist die Kirche der getauften Frauen und Männer, die wir vor allem im Bewusstsein der in der Taufe empfangenen Würde, aber auch durch Förderung von Dienstämtern bestärken müssen.

96.               Darüber hinaus kann der Bischof angesichts der Tatsache, dass keine Priester für die Gemeinden zur Verfügung stehen, für einen bestimmten Zeitraum eine nicht mit der Priesterweihe ausgestattete Person, die zur Gemeinde gehört, mit der Verantwortung für die Pastoral der Gemeinde beauftragen. Um keinen Personenkult aufkommen zu lassen, sollte das Amt rotieren. Der Bischof kann dieses Amt im Namen der christlichen Gemeinde durch einen feierlichen Akt mit einem offiziellen Mandat ausstatten, sodass die für die Gemeinde verantwortliche Person auch in der lokalen gesellschaftlichen Öffentlichkeit anerkannt wird. Verantwortlicher Leiter der Gemeinde bleibt jedoch stets der Priester mit der Beauftragung und den Befugnissen des Pfarrers.

b. Ordensleute

97.               Der Evangelientext „Der Geist des Herrn ruht auf mir; denn er hat mich gesalbt. Er hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe“ (Lk 4,18) – drückt eine Überzeugung aus, welche die Ordensleute bei ihrer Mission in Amazonien besonders beseelt. Sie sind dazu gesandt, aus nächster Nähe den indigenen Völkern, den am stärksten verwundeten und isolierten Völkern die Frohe Botschaft zu bringen, und zwar mit einer dialogischen Verkündigung, die aus einem tiefen Wissen über Spiritualität stammt. Ordensleute mit den Erfahrungen verschiedener Ordensfamilien und -Institute können in Gemeinden leben, in denen niemand leben will und an deren Seite niemand sein will, indem sie Kultur und Sprachen der indigenen Völker lernen, um die Herzen der Menschen zu erreichen.

98.               Diese Mission trägt zum Aufbau und zur Festigung der Kirche bei, stärkt und erneuert jedoch zugleich das Ordensleben. Sie fordert die Orden noch stärker auf, ihr Gründungscharisma in Reinform wieder aufzunehmen. Auf diesem Hintergrund wird ihr Zeugnis prophetisch und Anstoß für neue Ordensberufungen. Wir schlagen vor, auf Ordensleute mit amazonischer Identität zu setzen, um Berufungen aus den indigenen Völkern zu unterstützen. Wenn Ordensleute mit den Verarmten und Ausgeschlossenen zusammenleben und unterwegs sein wollen, sind wir ihnen behilflich. Fortbildungsmaßnahmen müssen den Ansatz von Interkulturalität und Inkulturation berücksichtigen und zum Dialog mit den Spiritualitäten und Weltsichten Amazoniens befähigen.

c. Die Stunde der Frauen

99.      Die Kirche in Amazonien möchte, dass „die Räume für eine wirksamere weibliche Gegenwart in der Kirche noch erweitert werden“ (EG 103). „Schränken wir den Einsatz der Frauen in der Kirche nicht ein, sondern fördern wir ihre aktive Rolle in der kirchlichen Gemeinschaft. Wenn die Kirche die Frauen verliert, in ihrer totalen und realen Dimension, riskiert sie, unfruchtbar zu werden.“ (Papst Franziskus, Treffen mit dem brasilianischen Episkopat, Rio de Janeiro, 27. Juli 2013).

100.  Das Lehramt der Kirche hat seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil den führenden Platz hervorgehoben, der den Frauen in der Kirche zukommt: „Es kommt die Stunde, und sie ist schon da, in der sich die Berufung der Frau in ihrer Fülle vollendet, die Stunde, in der die Frau in der Gesellschaft einen Einfluss, eine Entfaltung, eine Macht erwirbt, die sie bis jetzt noch nie erreicht hat. Darum können die vom Geist des Evangeliums erfüllten Frauen in diesem Augenblick, da sich die Menschheit einer so tiefgreifenden Umwandlung bewusst wird, viel dazu beitragen, dass die Menschheit ihr Ziel erreiche.“ (Paul VI., Botschaften des Konzils an Stände und Gruppen, 8. Dezember 1965; hier: „An die Frauen“; dt: Herders Theol. Kommentar zum Zweiten Vatikanischen Konzil, Freiburg 2006, Bd. 5, S. 579).

101.  Die uralte Weisheit der Völker bestätigt, dass Mutter Erde ein weibliches Antlitz hat. In der indigenen und in der westlichen Welt arbeiten Frauen in vielen Bereichen mit, sie unterrichten die Kinder, geben den Glauben und das Evangelium weiter, setzen sich ein für die menschliche Entwicklung und übernehmen dafür Verantwortung. Deshalb wird die Forderung laut, dass die Stimme von Frauen gehört werde, dass sie konsultiert und an Entscheidungsprozessen beteiligt werden. Auf solche Weise können sie mit ihrer Sensibilität auch zur Synodalität der Kirche beitragen. Wir schätzen die Rolle der Frauen, anerkennen ihre grundlegende Rolle bei der Entwicklung und Weitergabe von Kulturen, für Spiritualität, für Gemeinschaften und für Familien. Frauen müssen viel entschiedener Leitungsaufgaben innerhalb der Kirche wahrnehmen, und die Kirche muss sie anerkennen und fördern, indem sie ihre Mitwirkung in Pastoralräten von Pfarreien und Diözesen oder auch in Leitungsinstanzen ausbaut.

102.  Angesichts der Realität, unter der Frauen als Opfer körperlicher, moralischer und religiöser Gewalt leiden bis hin zum Frauenmord, setzt sich die Kirche für die Verteidigung ihrer Rechte ein und schätzt sie als Protagonistinnen und Hüterinnen der Schöpfung und des „Gemeinsamen Hauses“. Wir beherzigen, dass Jesus auch den Frauen Dienstämter zugedacht hat. Wir müssen die Weiterbildung von Frauen in den Studiengängen von biblischer Theologie, systematischer Theologie und Kirchenrecht unterstützen, weil wir ihre Mitwirkung in Führungspositionen und Organisationen innerhalb und außerhalb des kirchlichen Umfelds wertschätzen. Wir wollen die familiären Bindungen, insbesondere von Migrantinnen, stärken. Wir sichern den Frauen einen Platz in den Bereichen von Führungspositionen und Ausbildung zu. Wir bitten darum, das Motu proprio des Heiligen Papstes Paul VI., „Ministeria quaedam“, zu überprüfen, damit auch angemessen ausgebildete und vorbereitete Frauen die noch weiter zu entwickelnden Dienstämter des Lektorats und Akolythats wahrnehmen können. Im neuen Kontext von Evangelisierung und Pastoral in Amazonien werden die meisten katholischen Gemeinden von Frauen geleitet. Im Dienst an den sich wandelnden Anforderungen für die Evangelisierung und die Begleitung der Gemeinden bitten wir darum, dass man ein Dienstamt für die „Leiterin einer Gemeinde“ einrichte und institutionell anerkenne.

103.  Bei den vielfältigen Beratungen im Amazonas-Raum wurde die grundlegende Rolle anerkannt und hervorgehoben, die Ordensfrauen und andere Frauen in der Kirche Amazoniens und deren Gemeinden durch ihre vielfältigen Dienste wahrnehmen. Eine große Anzahl von Konsultationen forderte, den ständigen Diakonat für Frauen einzurichten. Aus diesem Grund war das Thema auch in der Synode sehr präsent. Bereits im Jahr 2016 hatte Papst Franziskus eine „Studienkommission zum Diakonat der Frau“ ins Leben gerufen. Die Kommission formulierte jedoch ein einseitiges Ergebnis über das Frauendiakonat in den ersten Jahrhunderten der Kirche und dessen Auswirkungen heute. Deshalb wollen wir unsere eigenen Erfahrungen und Reflexionen mit der Kommission austauschen und die Ergebnisse dieses Austauschs abwarten.

d.  Ständiger Diakonat

104.                     Für die Kirche Amazoniens ist die Förderung, Ausbildung und Unterstützung von ständigen Diakonen dringend erforderlich, weil dieser Dienst für die Gemeinde wichtig ist. Insbesondere viele Gemeinden der indigenen Völker brauchen diesen Dienst der Kirche. Die spezifischen pastoralen Bedürfnisse der christlichen Gemeinden in Amazonien führen uns zu einem erweiterten Verständnis des Diakonats, eines Dienstes, den es von Anfang an in der Kirche gibt und der vom Zweiten Vatikanischen Konzil als autonomer, dauerhafter Weihegrad wiederhergestellt wurde (LG 29, AG 16, OE 17). Heutzutage muss der Diakonat auch die ganzheitliche Ökologie, die Entwicklung des Menschen, die Sozialpastoral voranbringen als ein Dienst an Menschen, die sich in verwundbaren Situationen und in Armut befinden, und so jenem Christus ähnlich werden, der gekommen ist zu dienen. Das heißt barmherzige, samaritanische, solidarische und diakonische Kirche sein.

105.                     Die Priester müssen sich darüber im Klaren sein, dass der Diakon – wie sein Name sagt – im Dienst der Gemeinde unter der Leitung des Bischofs steht. Die Priester sind dazu verpflichtet, die ständigen Diakone zu unterstützen und mit ihnen zusammenzuarbeiten. Auch für den Unterhalt der ständigen Diakone ist zu sorgen. Dies beinhaltet auch das Berufungsverfahren nach bestimmten Zulassungskriterien. Die Motivation des Kandidaten muss hinzielen auf den Dienst und die Sendung des ständigen Diakonats in der Kirche und in der Welt von heute. Das Ausbildungsprogramm ist bestimmt vom Wechsel zwischen akademischem Studium und pastoraler Praxis, wird von einem Ausbildungsteam und der Pfarrgemeinde begleitet, und zwar mit Inhalten und Plänen, die der jeweiligen lokalen Realität entsprechen. Es ist zu wünschen, dass Ehefrau und Kinder am Ausbildungsprozess teilhaben.

106.                     Das Studienprogramm (Curriculum) zur Ausbildung für den ständigen Diakonat muss neben den Pflichtfächern auch Themen behandeln, die den ökumenischen, interreligiösen und interkulturellen Dialog unterstützen. Die Geschichte der Kirche in Amazonien, Liebe und Sexualität, indigene Weltanschauung, ganzheitliche Ökologie und andere Querschnittsthemen, die für das diakonische Amt typisch sind, müssen Berücksichtigung finden. Das Team der Ausbildenden setzt sich aus geweihten Amtsträgern und kompetenten Laien zusammen, die nach dem in jedem Land zugelassenen Leitfaden für den ständigen Diakonat verfahren. Den Berufungsprozess und die Ausbildung künftiger ständiger Diakone für die indigenen Gemeinden und die Gemeinden am Flussufer wollen wir zusammen mit Pfarrern, Ordensfrauen und Ordensmännern persönlich fördern, unterstützen und begleiten. Schließlich soll es ein Weiterbildungsprogramm zur ständigen Fortbildung (Spiritualität, theologische Weiterbildung, pastorale Angelegenheiten, Aktualisierung kirchlicher Dokumente usw.) unter Leitung des Bischofs geben.

e. Inkulturierte Bildungspläne

107.    „Ich gebe euch Hirten nach meinem Herzen“ (Jer 3,15). Diese

Verheißung Gottes gilt für alle Zeiten und Kontexte, also auch für Amazonien. Um Priester nach dem Beispiel Christi zu formen, muss die Ausbildung zum Weiheamt eine Schule für geschwisterliche Gemeinschaft sein, und zwar hinsichtlich der Spiritualität, der Pastoral und der kirchlichen Lehre, im Kontakt mit der Realität der Menschen, im Einklang mit der lokalen Kultur und Religiosität, nah bei den Armen. Gute Hirten müssen wir heranbilden, welche – genährt von der Eucharistie und der Heiligen Schrift – die Frohe Botschaft vom Reich Gottes leben, das Kirchenrecht kennen, mitfühlend sind und möglichst weitgehend dem Jesus entsprechen, dessen Praxis darin besteht, den Willen des Vaters zu tun. Das bedeutet, stärker an der Bibel orientiert auszubilden im Sinne einer Annäherung an den Jesus, wie er in den Evangelien gezeigt wird: mit seiner Fähigkeit, geduldig zuzuhören, zu heilen, zu trösten, keine Forderungen zu erheben, sondern die herzliche Zärtlichkeit, das Herz seines Vaters, zu offenbaren.

108.    In der Absicht, den zukünftigen Priestern in den Kirchen Amazoniens eine Ausbildung mit amazonischem Antlitz zu ermöglichen, die sich auf die Realität einlässt und auf sie abgestimmt ist, den Kontext wahrnimmt und sich den mannigfachen Herausforderungen für Pastoral und Mission stellen kann, schlagen wir einen Ausbildungsplan vor, der den Problemen der Ortskirchen und der Realität Amazoniens entspricht. Die akademische Ausbildung hat Fachgebiete zu beachten, welche sich mit ganzheitlicher Ökologie, mit ökologischer Theologie, mit Schöpfungstheologie, mit indigenen Theologien, mit ökologischer Spiritualität, mit der Geschichte der Kirche in Amazonien, mit der Kulturanthropologie Amazoniens usw. befassen. Die Ausbildungsstätten für Priester und Ordensleute sollten vorrangig in die Realität Amazoniens eingebettet sein, damit sie den auszubildenden jungen Menschen aus Amazonien den Kontakt mit ihrer Realität ermöglichen, während sie sich auf ihre zukünftige Mission vorbereiten. Auf diese Weise soll gewährleistet werden, dass der Ausbildungsprozess nicht über das, was für die Menschen und ihre Kultur lebenswichtig ist, hinweggeht, andererseits jedoch auch anderen nicht aus Amazonien stammenden jungen Leuten die Chance bietet, an der Ausbildung in Amazonien teilzunehmen, um auf diese Weise Berufungen zum missionarischen Dienst zu wecken.

f.  Eucharistie – Quelle und Höhepunkt synodaler Gemeinschaft

109.  Für das Zweite Vatikanische Konzil ist die Teilnahme an der Eucharistie Quelle und Höhepunkt christlichen Lebens. Sie ist das Symbol für die Einheit des mystischen Leibes. Sie ist Mittel- und Höhepunkt für das Leben der christlichen Gemeinde. Die Eucharistie enthält alle geistlichen Güter der Kirche. Sie ist Quelle und Höhepunkt aller Evangelisierung. Wir wollen den Satz des Heiligen Johannes

Paul II. beherzigen: „Die Kirche lebt von der Eucharistie“ (Ecclesia de Eucharistia, 1). Die Instruktion „Redemptionis sacramentum“ (2004) der vatikanischen Kongregation für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung besteht darauf, dass die Gläubigen das Recht haben, die Eucharistie so zu feiern, wie es den liturgischen Büchern und Normen entspricht. Merkwürdigerweise hebt man zwar hervor, dass die Christen ein Recht darauf haben, die Eucharistie den Vorschriften entsprechend zu feiern, aber schweigt zugleich vom viel grundlegenderen Recht aller auf Zugang zur Eucharistie: „In der Eucharistie ist die Fülle bereits verwirklicht, und sie ist das Lebenszentrum des Universums, der überquellende Ausgangspunkt von Liebe und unerschöpflichem Leben. Vereint mit dem in der Eucharistie gegenwärtigen inkarnierten Sohn sagt der gesamte Kosmos Gott Dank. Tatsächlich ist die Eucharistie von sich aus ein Akt der kosmischen Liebe“ (LS 236).

110.  Die Gemeinde hat ein Recht auf die Eucharistiefeier. Dieses Recht beruht auf dem Wesen und der Bedeutung der Eucharistie in der Heilsökonomie. Die Teilnahme an den Sakramenten verbindet den Menschen in den verschiedenen Dimensionen seines Lebens mit dem Ostergeheimnis, das uns Kraft gibt. Deshalb schreien lebendige Gemeinden geradezu nach der Feier der Eucharistie. Sie ist zweifellos das Ziel (Höhepunkt und Vollendung) der Gemeinschaft, zugleich aber auch ein Neubeginn von Begegnung und Versöhnung, von Lernen und Katechese, von wachsender Gemeinsamkeit.

111.  Viele kirchliche Gemeinden im Amazonasgebiet haben enorme Schwierigkeiten, Zugang zur Eucharistie zu erlangen. Manchmal vergehen nicht nur Monate, sondern sogar Jahre, bevor ein Priester wieder in die Gemeinde kommt, um Eucharistie zu feiern, das Sakrament der Versöhnung oder die Krankensalbung zu spenden. Wir schätzen den Zölibat als Geschenk Gottes (Sacerdotalis Caelibatus, 1), sofern diese Gabe dem zum Priester geweihten missionarischen Jünger ermöglicht, sich voll und ganz dem Dienst am Heiligen Volk Gottes zu widmen. Der Zölibat stimuliert zu pastoralem Engagement. Und wir beten dafür, dass es viele Berufungen gebe, die das zölibatäre Priestertum leben können. Wir wissen, dass dieses Gesetz „zwar nicht vom Priestertum seinem Wesen nach erfordert [wird ...], aber eine vielfältige Übereinstimmung mit dem Priestertum [hat]“ (PO 16). In seiner Enzyklika über den priesterlichen Zölibat hat der Heilige Paul VI. dieses Gesetz beibehalten und die theologischen, spirituellen und pastoralen Beweggründe dargelegt, die es untermauern. Im Jahre 1992 bestätigte der heilige Johannes Paul II. in seinem nachsynodalen Apostolischen Schreiben „Über die Priesterausbildung“ (Pastores dabo vobis) diese Tradition der lateinischen Kirche (PDV 29). In Anbetracht dessen, dass die legitime Vielfalt der Gemeinschaft und Einheit der Kirche keinen Schaden zufügt, sondern sie vielmehr zum Ausdruck bringt und ihr dient (LG 13; OE 6), wie die Vielzahl von Riten und die verschiedenartigen Ordnungen bezeugen, schlagen wir vor, dass die zuständige Autorität im Rahmen von „Lumen gentium“ Nr. 26 solche Kriterien und Ausführungsbestimmungen festlegt, nach denen geeignete und in der Gemeinde anerkannte Männer zu Priestern geweiht werden können. Diese sollten das Amt des ständigen Diakons wirksam wahrgenommen und eine angemessene Ausbildung zum Priesteramt erhalten haben, aber auch mit ihrer legitimen, stabilen Familie zusammenleben. So könnten sie durch die Verkündigung des Wortes und die Feier der Sakramente in den entlegendsten Gebieten Amazoniens das Leben der christlichen Gemeinden aufrechterhalten. Einige haben in diesem Zusammenhang auch dafür plädiert, das Thema auf weltkirchlicher Ebene zu behandeln.

Neue Wege für die Synodalität der Kirche

a. Regionale synodale Strukturen für die Kirche Amazoniens

112.            Die meisten Diözesen, Prälaturen und Vikariate in Amazonien sind flächenmäßig von riesigen Ausmaßen, haben nur wenige geweihte Amtsträger, verfügen nur über geringe finanzielle Mittel und haben es deshalb schwer, ihrer Sendung gerecht zu werden. Die „Kosten Amazoniens“ erschweren die Evangelisierung erheblich. Angesichts dieser Realität muss man neu darüber nachdenken, wie die Ortskirchen organisiert werden sollen, wie die kirchlichen Strukturen auf der Ebene der Provinzen, Regionen, Nationen und auch aus der Perspektive Panamazoniens neu zu gestalten sind. Daher ist es notwendig, synodale Räume miteinander zu verbinden und Solidaritätsnetzwerke zu schaffen. Die geografischen Grenzen müssen überwunden und Brücken zueinander gebaut werden. Das Aparecida-Dokument bestand bereits darauf, dass die Ortskirchen interdiözesane Verbindungen in jeder Nation bzw. zwischen Ländern einer Region schaffen und so eine engere Zusammenarbeit zwischen Schwesterkirchen ermöglichen (vgl. DAp 182). Im Blick auf eine erlebbare, solidarische und samaritanische Kirche schlagen wir vor, die Größe der riesigen geografischen Gebiete von Diözesen, Vikariaten und „Prälaturen“ zu verändern sowie einen Amazonien-Fonds zur Unterstützung der Evangelisierung einzurichten. Die internationalen katholischen Agenturen für Zusammenarbeit sollten dafür sensibilisiert werden, neben sozialen Projekten auch Aktivitäten zur Evangelisierung zu unterstützen.

113.            Beim 50. Jahrestag zur Errichtung der Bischofssynode durch den Heiligen Paul VI. forderte Papst Franziskus die Kirche dazu auf, die synodale Gemeinschaft auf den verschiedenen Ebenen kirchlichen Lebens, auf lokaler, regionaler und weltkirchlicher Ebene zu erneuern. Die Kirche ist dabei, Synodalität im regionalen Kontext neu zu verstehen. Die Internationale Theologische Kommission stellt, gestützt auf die Tradition, fest: „Die regionale Ebene in der Ausübung der Synodalität ist diejenige, die in den Gruppierungen von Partikularkirchen einer Region gelebt wird: einer Provinz, wie vor allem in den ersten Jahrhunderten der Kirche, eines Landes, eines Kontinents oder eines Teilkontinents.“ (ITK, Synodalität in Leben und Sendung der Kirche, Vatikan, 2018, Nr. 85). Die Ausübung von Synodalität auf dieser Ebene verstärkt die spirituellen und institutionellen Bande, fördert den Austausch von Gaben und hilft, gemeinsame Kriterien für die Pastoral zu entwickeln. Zwischen den Diözesen, die an den Ländergrenzen liegen, muss die Zusammenarbeit in der Sozialpastoral intensiviert werden, um den Problemen, die über die lokale Ebene hinausgehen und alle betreffen, gemeinsam zu begegnen zum Beispiel Ausbeutung von Menschen und Territorien, Drogenhandel, Korruption, Menschenhandel usw. Das Migrationsproblem muss von den Kirchen in den Grenzgebieten koordiniert angegangen werden.

b. Universitäten und neue synodale Strukturen in Amazonien

114.  Wir schlagen vor, eine katholische Universität Amazoniens für interdisziplinäre Forschung (einschließlich Feldstudien), für Inkulturation und interkulturellen Dialog einzurichten. Die inkulturierte Theologie soll ausgehend von der Heiligen Schrift Laien und Priester für die jeweiligen Ämter gemeinsam ausbilden. Forschungs-, Bildungs- und Beratungstätigkeiten müssen Programme für Umweltstudien (theoretisches Wissen, das mit der Weisheit der im Amazonasgebiet lebenden Völker im Einklang steht) und ethnische Studien (Beschreibung der verschiedenen Sprachen usw.) berücksichtigen. Die Ausbildung von Lehrpersonal, der Unterricht und die Erstellung von didaktischem Material müssen die Gepflogenheiten und Traditionen der indigenen Völker respektieren, indem inkulturiertes didaktisches Material erarbeitet sowie Forschungstätigkeiten in verschiedenen Ländern und Regionen durchgeführt werden. Wir bitten die katholischen Universitäten in Lateinamerika, bei der Gründung der katholischen Universität Amazoniens mitzuwirken und ihren Aufbau zu begleiten.

c. Ein nachsynodales kirchliches Organ für die Amazonasregion

115.  Wir schlagen vor, ein bischöfliches Organ zu schaffen, das die Synodalität zwischen den Kirchen der Region voranbringt, dabei behilflich ist, das amazonische Antlitz dieser Kirche zu konturieren, und die Aufgabe weiter verfolgt, neue Wege für den Evangelisierungsauftrag zu entdecken, insbesondere unter Berücksichtigung der Idee einer ganzheitlichen Ökologie, um die Physiognomie der Kirche Amazoniens zu prägen. Dieses bischöfliche Organ sollte als beständige repräsentative Institution bestehen, welche die Synodalität im Amazonasgebiet stützt, mit dem CELAM durch eine eigene, einfach organisierte Struktur verbunden ist und auch mit REPAM zusammenarbeitet. Auf diese Weise kann es zum effizienten Kanal werden, durch den viele während dieser Synode aufgeworfene Ideen in das gesamte Gebiet der Kirche Lateinamerikas und der Karibik übermittelt werden. Dieses Organ könnte als Bindeglied fungieren, um auf kontinentaler und internationaler Ebene kirchliche und sozial-ökologische Netzwerke bzw. Initiativen miteinander zu verknüpfen.

d. Liturgie für die ursprünglichen Völker

116.  Das Zweite Vatikanische Konzil hat einem liturgischen Pluralismus die Wege gebahnt, „berechtigter Vielfalt und Anpassung an die verschiedenen Gemeinschaften, Gegenden und Völker [...] Raum gelassen“ (SC 38). In diesem Sinne hat die Liturgie der Kultur zu entsprechen, damit sie mit den Leiden und Freuden der Menschen verbunden bleibt und so wirklich Quelle und Höhepunkt des christlichen Lebens werden kann (vgl. SC 10). Wir müssen den Gemeinden Amazoniens eine wirklich katholische Antwort geben. Sie bitten darum, auch in der Liturgie die Weltsicht und Traditionen, die Symbole und ursprünglichen Riten mit ihren transzendenten, gemeinschaftlichen und ökologischen Dimensionen wertzuschätzen.

117.  In der katholischen Kirche gibt es dreiundzwanzig verschiedene Riten: Das ist der eindeutige Beweis für eine Tradition, die sich seit den ersten Jahrhunderten darum bemüht, die Feier der Glaubensinhalte durch eine Sprache zu inkulturieren, die dem darzustellenden Geheimnis möglichst weitgehend entspricht. All diese Traditionen haben ihren Grund darin, der Mission der Kirche dienlich zu sein:

„Die Kirchen ein und desselben geographischen und kulturellen Bereichs begannen allmählich, das Mysterium Christi in besonderen, kulturell geprägten Ausdrucksformen zu feiern. Unterschiede in den Formen finden sich bei der Art und Weise der Überlieferung des Glaubensgutes [Vgl. 2 Tim 1,14], in der liturgischen Symbolik, im Aufbau der brüderlichen Gemeinschaft, im theologischen Verständnis der Mysterien und in Formen der Heiligkeit.“ (KKK, Nr. 1202; siehe auch KKK 1200 –1206).

118.  In ihrer unermüdlichen Evangelisierungsarbeit muss die Kirche so vorgehen, dass die Inkulturation des Glaubens in den Formen und Sprachen geschieht, in denen die amazonischen Völker selbst leben und feiern. Es ist dringend erforderlich, dass Kommissionen gebildet werden, welche die biblischen und liturgischen Texte in die je eigenen Sprachen der verschiedenen Orte übersetzen und redigieren. Sie sollen zwar die Materie der Sakramente beibehalten, aber deren Formen anpassen, ohne das Wesentliche aus den Augen zu verlieren. In diesem Sinne sind auch Musik und Gesang zu übernehmen, wie es von der Liturgie akzeptiert und unterstützt wird.

119.  Das neue Organ der Kirche Amazoniens soll eine Kommission ins Leben rufen, welche die Sitten und Gebräuche der ursprünglichen Völker studieren und mit ihnen in Dialog treten soll, um einen eigenen amazonischen Ritus zu erarbeiten, durch den das liturgische, theologische, disziplinarische und spirituelle Erbe Amazoniens zum Ausdruck kommen kann. Dabei soll sie insbesondere berücksichtigen, was Lumen gentium für die Ostkirchen (vgl. LG 23,4) bekräftigt. Ein solcher Ritus sollte die Riten ergänzen, die es bereits in der Kirche gibt und damit das Werk der Evangelisierung bereichern, die Ausdrucksformen des Glaubens in der je eigenen Kultur bestärken und das Verständnis von Dezentralisierung und Kollegialität erweitern, welche die Katholizität der Kirche zum Ausdruck bringen. Die Kommission könnte auch darüber nachdenken und Ideen entwickeln, wie die Art und Weise, in der diese Völker für ihr Territorium sorgen und sich mit dessen Gewässern verbunden fühlen, die kirchlichen Riten bereichern könnten.

Zum Schluss

120.  Wir schließen unter dem Schutz Mariens, der Mutter Amazoniens, die in der gesamten Region unter verschiedenen Namen verehrt wird. Mit ihrer Fürsprache beten wir darum, dass diese Synode die Synodalität konkret erfahrbar mache, damit das Leben in Fülle, das Jesus in die Welt bringen wollte (vgl. Joh 10,10), allen, insbesondere den Armen, zuteil werde und dem Schutz des „Gemeinsamen Hauses“ diene. Maria, die Mutter Amazoniens, begleite uns auf unserem Weg; dem heiligen Josef, dem treuen Beschützer Mariens und ihres Sohnes Jesus, widmen wir unser kirchliches Wirken in Amazonien, als Kirche mit amazonischem Antlitz im missionarischen Aufbruch.

 

Quellen- und Abkürzungsverzeichnis

AG  - Ad Gentes – II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die missionarische Tätigkeit der Kirche, (7. Dez. 1965)

AL  -  Amoris laetitia – Nachsynodales Apostolisches Schreiben von Papst Franziskus, 2016. In: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 204,  hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2016 

         Papst Franziskus, Ansprache beim Angelus-Gebet, am 30. Juni 2019, http://w2.vatican.va/content/francesco/de/angelus/2019/documents/papa-francesco_angelus_20190630.html)

Buen vivir - Buen Vivir – Das Konzept zum guten Leben aus Bolivien und Ecuador, Adveniat Referat Bildung/Pastoral

                 https://www.adveniat.de/fileadmin/user_upload/engagieren/Schule_und_Kindergarten/BuenVivir.pdf

CELAM -  Consejo Episcopal Latinomericano – Lateinamerikanischer Bischofsrat

Christus vivit  - Christus vivit – Nachsynodales Apostolisches Schreiben von Papst Franziskus an die jungen Menschen und das ganze Volk Gottes, Rom 2019,

                     http://w2.vatican.va/content/francesco/de/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20190325_christusvivit.html

CIDH/OEA -  Comisión Interamericana de Derechos Humanos: „Pueblos indígenas y tribales de la Panamazonía“, September 2019 – Organización de los Estados Americanos (OEA)

                   Interamerikanische Kommission für Menschenrechte – bei der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS): „Indigene Völker und Stämme in Panamazonien, Nr. 5. und Nr. 188, September 2019

CIMI - Indianischer Missionsrat der brasilianischen Bischofskonferenz, CNBB

CLAR  -  Confederación de Religiosas y Religiosos de América Latina y el Caribe – Zusammenschluss der Ordensleute Lateinamerikas und der Karibik

CNBB  - Brasilianische Bischofskonferenz

CV - Caritas in veritate – Enzyklika von Papst Benedikt XVI, 2009 In: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 186,  hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2016

DAp. - Dokument von Aparecida: Documento de la V CONFERENCIA GENERAL DEL EPISCOPADO LATINOAMERICANO Y DEL CARIBE (CELAM), Aparecida, Brasil, 2007. (Dt. Übersetzung in: Dokument der V.

           Generalversammlung des Episkopats von Lateinamerika und der Karibik (CELAM), Aparecida, Brasilien, 2007. Stimmen der Weltkirche Nr.141. Hrsg. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz. Bonn 2007)

Dikasterium - für den Dienst zugunsten der Ganzheitlichen Entwicklung des Menschen – Abteilung der Römischen Kurie  http://www.vatican.va/roman_curia/sviluppo-umanointegrale/index_ge.htm

DM -  Dokument von Medellín: Documento de la II CONFERENCIA GENERAL DEL EPISCOPADO LATINOAMERICANO Y DEL CARIBE (CELAM), Medellín, Colombia, 1968. (Dt. Übersetzung in: Die Kirche Lateinamerikas. Dokumente der II. und III. Generalversammlung des Episkopats von Lateinamerika und der Karibik in Medellín und Puebla. Stimmen der Weltkirche Nr. 8. Hrsg. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, o.J.)

DP   - Dokument von Puebla: Documento de la III CONFERENCIA GENERAL DEL EPISCOPADO LATINOAMERICANO Y DEL CARIBE (CELAM), Puebla, México, 1979. (Dt. Übersetzung in: Die Kirche Lateinamerikas. Dokumente der II. und III. Generalversammlung des Episkopats von Lateinamerika und der Karibik in Medellín und Puebla. Stimmen der Welt- kirche Nr. 8. Hrsg. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, o.J)

DV - Dei verbum – II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die göttliche Offenbarung, 18. Nov. 1965

EC - Episcopalis communio – Apostolische Konstitution von Papst Franziskus über die Bischofssynode, (15. Sept. 2018) 

       http://w2.vatican.va/content/francesco/de/apost_constitutions/documents/papa-francesco_costituzione-ap_20180915_episcopalis-communio.html

Ecclesia  - Enzyklika von Papst Johannes Paul II. - Über die Eucharistie in de Eucharistia    ihrer Beziehung zur Kirche –

               http://www.vatican.va/content/john-paul-ii/de/encyclicals/documents/hf_jp-ii_enc_20030417_eccl-de-euch.html

EG - Evangelii gaudium – Apostolisches Schreiben von Papst Franziskus über die Verkündigung des Evangeliums in der Welt von heute, 24. Nov. 2013. In: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 194, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2016

EN -  Evangelii nuntiandi – Apostolisches Schreiben von Papst Paul VI. über die Evangelisierung in der Welt von heute, 8. Dez. 1975. http://www.vatican.va/content/paul-vi/de/apost_exhortations/documents/hf_p-vi_exh_19751208_evangelii-nuntiandi.html

Fe y Alegría  - Ein Zusammenschluss lokaler Organisationen, die in 19 Ländern den ärmsten Bevölkerungsschichten Bildungschancen bieten.

FrPM -  Franziskus Puerto Maldonado

            Papst Franziskus, Ansprache in Puerto Maldonado (Perú), Begegnung mit den Völkern Amazoniens (19. Januar 2018)

            http://w2.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2018/january/documents/papa-francesco_20180119_peru-puertomaldonado-popoliamazzonia.html

GS -  Gaudium et spes – II. Vatikanisches Konzil, Pastoralkonstitution über die Kirche in der Welt dieser Zeit (7. Dezember 1965) 

IAO-Konvention 169 - Internationale Arbeits-Organisation – Übereinkommen 169:  Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern, Genf 1989

             https://www.ilo.org/wcmsp5/groups/public/@ed_norm/ @normes/documents/publication/wcms_100900.pdf

Instrumentum laboris - Dt. Übersetzung des Arbeitsdokuments zur Vorbereitung auf die Bischofssynode – Sonderversammlung für Amazonien „Neue Wege für die Kirche und für eine ganzheitliche Ökologie“ – 17. Juni 1979 Hrsg. ADVENIAT und MISEREOR

ITK - Internationale Theologische Kommission: Die Synodalität in Leben und Sendung der Kirche – 2. März 2018 – In: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls  Nr. 215, Hrsg. Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2018

Jugendsynode -    Jugend, Glaube und Berufungsunterscheidung-Dokumente: http://www.vatican.va/roman_curia/synod/index_ge.htm

KKK  -  Katechismus der Katholischen Kirche (11. Oktober 1992): http://www.vatican.va/archive/DEU0035/_INDEX.HTM

Kongregation -   für den Gottesdienst und die Sakramentenordnung – Abteilung der Römischen Kurie - Dokument Redemptionis sacramentum über einige Dinge bezüglich der heiligsten Eucharistie, die einzuhalten und zu vermeiden sind (25. März 2004) – http://www.vatican.va/roman_curia/congregations/ccdds/ documents/rc_con_ccdds_doc_20040423_redemptionis-sacramentum_ge.html

LG - Lumen gentium – II. Vatikanisches Konzil, Dogmatische Konstitution über die Kirche (21. November 1964)

LS - Laudato si’ – Enzyklika von Papst Franziskus über die Sorge  für das gemeinsame Haus (24. Mai 2015). In: Verlautbarungen des Apostolischen Stuhls, Nr. 202, hrsg. vom Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz, Bonn 2015

OE - Orientalium ecclesiarum – II. Vatikanisches Konzil, Dekret über die Katholischen Ostkirchen, (21. Nov. 1964)

PIAV - Pueblos indígenas en aislamiento voluntario

         (Indigene Völker in freiwilliger Isolation)

PIACI  Pueblos Indígenas en Aislamiento y Contacto Inicial

         (Indigene Völker in Isolation und mit anfänglichen Kontakten)

PDV  - Pastores dabo vobis – Nachsynodales Apostolisches Schreiben von Papst Johannes Paul II. über die Priesterausbildung im Kontext der Gegenwart– (25. März 1992)

PO - Presbyterorum ordinis – II. Vatikanisches Konzil,

         Dekret über den Dienst und das Leben der Presbyter (7. Dezember 1965)

REPAM - Red Eclesial Panamazonica - Panamazonisches Kirchennetzwerk

Sacerdotalis caelibatus - Enzyklika von Papst Paul VI. über den Zölibat der Priester (24. Juni 1967)

SC - Sacrosanctum Concilium – II. Vatikanisches Konzil,

       Konstitution über die heilige Liturgie (4. Dezember 1963)

Vorbereitungs-dokument  -  Vorbereitungsdokument zur Sonderversammlung der Bischofssynode für das Amazonasgebiet. Dt. Übersetzung hrsg. MISEREOR, Juli 2018. (Documento Preparatorio del Sínodo para la Amazonía: Nuevos Caminos para la Iglesia y para una Ecología Integral, Secretaría General del Sínodo de los Obispos, 2018)

 

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